120 V. 2. Die Kriegsgefahr.
Auch die wohlgemeinte Politik Preußens erntete in diesem diploma—
tischen Spiele keine Lorbeeren. Friedrich Wilhelm hatte sich durch Pal—
merston und Bülow unbedacht in einen Streit verwickeln lassen, welcher
dem Machtgebiete seines Staates fern lag, und war alsdann den englisch—
russischen Ränken so lange gefolgt, bis er endlich gezwungen wurde, sich
unter mannigfachen, wenig rühmlichen Windungen aus einer selbstver—
schuldeten falschen Stellung wieder hinauszuretten. Er wünschte auf—
richtig den Bestand des Juli-Königtums, das er früher gehaßt hatte, jetzt
aber als ein letztes Bollwerk der bürgerlichen Ordnung hoch schätzte; und
doch half er selbst mit, durch den Juli-Vertrag die Grundlagen dieser Monar-
chie zu erschüttern, eine neue französische Revolution vorzubereiten, welche
ihre Brandfackel leicht nach Deutschland hinüberschleudern konnte. Als die
Rheingrenze bedroht ward, erfüllte er ehrenhaft seine Pflicht gegen das
Vaterland; aber wie unklar erschien seine hochherzige Bundespolitik. Wo
war denn jener Deutsche Bund, der in den Depeschen der Hofburg als
die erste der europäischen Mächte gefeiert wurde? Auf der Londoner Kon-
ferenz besaß er nicht einmal einen Vertreter. Es zeigte sich zur Beschä-
mung der Phantasten, daß für Europa ein Deutschland neben Osterreich
und Preußen überhaupt nicht vorhanden war. Friedrich Wilhelms deut-
sche Politik rechnete mit Faktoren, welche nirgends bestanden. Und zu
alledem noch die klägliche Ohnmacht des altersschwachen Osterreichs, die
sich durch Metternichs hochtrabende Denkschriften längst nicht mehr be-
mänteln ließ.
Nach dem großen Versöhnungsfeste des Meerengenvertrages war
Europa tiefer denn jemals zerspaltet. Von den alten Allianzen stand
keine mehr ganz fest, neue hatten sich nicht gebildet. Das Staatensystem
der Wiener Verträge trieb ratlos einer furchtbaren Erschütterung ent-
gegen, wenn sich nicht noch in der elften Stunde ein genialer Wille fand,
der die zersplitterten Kräfte Mitteleuropas zu einer geschlossenen Macht
zusammenballte. —
Schwerlich wäre König Friedrich Wilhelm an die Gefahren eines
allgemeinen Krieges so nahe herangetreten, wenn nicht die religiöse Be-
geisterung bei seinen Entschlüssen mitgewirkt hätte. Indem er sich für
die Unantastbarkeit der Türkenherrschaft aussprach, glaubte er, seltsam
genug, den philhellenischen Gesinnungen seiner Jugend keineswegs untren
zu werden. Das herrische Eingreifen der europäischen Mächte in die
inneren Verhältnisse des Orients erschien ihm vielmehr wie eine Erneue-
rung der Kreuzzüge, wie ein Sieg des Kreuzes über den Halbmond, und
von vornherein sprach er die Erwartung aus, diese Gelegenheit müsse be-
nutzt werden, um allen christlichen Kirchen auf dem Berge Zion eine
Heimat zu sichern. Jerusalem war die heiligste Stätte der Christenheit,