Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

146 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
bisherigen Systeme festhalte. Er gab den Ständen zu wissen, daß er die 
zahlreichen Beschwerden aus der Provinz ernstlich geprüft habe; die Ver- 
waltung sei aber streng nach den Gesetzen verfahren, und ihre wesent- 
lichen Grundsätze denke er nicht aufzugeben. Darauf hielt er den Polen 
vor: sie selber trügen die Hauptschuld an den Mißständen, da sie absicht- 
lich dem Staatsdienste wie dem höheren Lehramte fern blieben; und sei 
es denn nicht wider ihre eigene Ehre, wenn sie dem preußischen Be- 
amtentum zumuteten, an polnische Kandidaten geringere Anforderungen 
zu stellen? Zum Schluß sprach er die Hoffnung aus, daß der Landtag 
sich weitgehender Anträge enthalten würde. Doch wie sollten die Polen 
diese Warnungen beherzigen, da sie alle wußten, daß der gefürchtete Ober- 
präsident schon zu Neujahr nach Magdeburg versetzt war und nur noch 
die Geschäfte des gegenwärtigen Landtags abwickeln sollte? 
Die alte Festigkeit der deutschen Herrschaft war dahin: das lehrte 
außer so manchen weichmütigen vertraulichen Außerungen des Königs 
vornehmlich seine Kabinettsordre vom 15. Jan. über die Gerichtssprache. 
Seit 1817 bestand in Posen die Vorschrift, daß alle Zivilprozesse in der 
Sprache des Klägers, falls er aber beider Sprachen gleich mächtig sei, in 
deutscher Sprache verhandelt werden sollten — sicherlich eine sehr milde 
Bestimmung in einem wesentlich deutschen Staate, der nur mit Mühe pol- 
nisch redende Richter auftreiben konnte und für die polnischen Parteien 
stets eine Übersetzung der deutschen Akten anfertigen ließ. Der sarma- 
tische Adel indessen betrieb die Verhöhnung der preußischen Gesetze längst 
wie einen standesgemäßen Sport. So hatte auch der als gewandter deutscher 
Redner wohlbekannte Oberst Niegolewski sich das Vergnügen gestattet, 
seinem Landgerichte polnisch zu schreiben, und darum, da die Richter keinen 
Scherz verstanden, einen Prozeß sowie eine Vormundschaft verloren. Dies 
selbstverschuldete Mißgeschick seines Standesgenossen hatte Graf Raczynski 
dem Könige sehr rührsam geschildert, und daraufhin wurde durch jene 
Kabinettsordre befohlen, daß alle Zivilprozesse ohne Unterschied in der 
Sprache des Klägers zu verhandeln seien. Dem polnischen Edelmanne 
stand es also fortan frei, den königlichen Richtern ihre Amtssprache vor- 
zuschreiben. Zugleich wurden die Belohnungen für die polnisch lernenden 
deutschen Beamten abermals erhöht, alle Landräte und Bezirkskommis- 
säre der Provinz, auch die der deutschen Kreise, angehalten, ihren Ver- 
fügungen polnische Übersetzungen beizulegen. 
Seitdem jubelten die Polen, die Politik des Germanisierens sei zu Ende, 
und mit dreister Zuversicht begannen sie auf dem Landtage den An- 
sturm wider das Deutschtum. Gleich als der Landtagsmarschall Poninski 
die Sitzungen mit schwungvollen Worten einleitete, wurde der gesetzwidrige 
Antrag gestellt, diese Eröffnungsreden sollten künftighin in beiden Sprachen 
gehalten werden. Nun folgten die alten Beschwerden über die Begünstigung 
der deutschen Sprache. Glaubte man diesen Rednern, so war die Unwissen-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.