14 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Personen im Grunde wenig galten. Mit erstaunlicher Kälte konnte er
sich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn sie ihre abweichende Mei—
nung öffentlich kundgaben und ihm seine Zirkel störten. In jedem er—
klärten politischen Gegner sah er einen persönlichen Feind, und nach der
Weise aller Gemütsmenschen behandelte er dann die entfremdeten Freunde
ebenso hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er
es oft als seinen heißesten Herzenswunsch aussprach, gegen jedermann
streng gerecht zu sein.
Nicht bloß seine äußere Erscheinung, auch sein edel, aber unglücklich
angelegter Geist gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war
er an schönen, hohen Gedanken, und doch so unsicher in seinen Ent—
schlüssen, daß seine Minister beim Schlusse einer Sitzung nie erraten
konnten, ob er noch dieselbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine
Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeisterten Herzens, seine
milde Hand schwelgte in den Werken einer jeden Schein verschmähenden
christlichen Barmherzigkeit; und dieser Gütige konnte, wenn der Jähzorn
ihn übermannte, sich bis zur Grausamkeit verfolgungssüchtig zeigen. Selber
sittenstreng, urteilte er hart, fast prüde über lockeren Lebenswandel; das
schloß nicht aus, daß er an saftigen Eulenspiegeleien und Berliner Straßen—
witzen seine Freude fand. Wie groß war sein Wissen und sein Wissens—
drang; aber die reinste Blüte aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens
und Denkens blieb ihm unverständlich und unerreichbar; überall suchte
er das Absonderliche, weitab von der Heerstraße; immer mußte er witzig
und geistreich sein, selbst wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er—
folg eines politischen Geschäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes
und der Seele, welche allein so viele widersprechende Gaben im Einklang
halten konnte, war ihm versagt, und zuweilen ließen sich schon die Spuren
einer schlechthin krankhaften Anlage erkennen.
Der alte König hatte immer, oft allzu ängstlich, die Gegensätze zu
beschwichtigen versucht, immer gehandelt nach dem alten Grundsatze, daß
die erste Pflicht jeder Regierung gebietet, bestimmte politische überliefe—
rungen festzuhalten; zuletzt, in den Tagen seines erstarrenden Alters, war
es dahin gekommen, daß Minister Alvensleben beruhigt sagte: wir kennen
die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unsere Berichte
stets also abfassen, daß wir der Genehmigung sicher sind.“) Wie anders
der neue Herrscher. Er beabsichtigte ebenfalls die Traditionen seiner alten
Monarchie in Ehren zu halten; doch durch seine vielverheißenden Reden,
durch die Fülle seiner Pläne, durch sein unstet abspringendes Wesen, durch
das beständige Aussprechen persönlicher Gefühle wirkte er überall so
aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenschaften sein
ruhiges Land durchtobte und er selbst dem Schicksal des Zauberlehrlings
*) Nach Kühnes Aufzeichnungen.