fullscreen: Archiv für öffentliches Recht. Band 34 (34)

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„Nicht wissenschaftliche Durchdringung, Beherrschung, Meisterung des 
Rechtsstoffes kann das Ziel seines Studiums sein. Er hat nur die herr- 
schende Rechtsordnung als etwas Gegebenes und braucht von den haupt- 
sächlichsten Zweifelsfragen und Problemen nur ihr bloßes Vorhandensein 
zu kennen. Eine eigene Fähigkeit zur Lösung juristischer Probleme ist 
für ihn nur in beschränktem Maße nötig. Das Maß der für den künftigen 
Richter nötigen Schulung braucht er selbstverständlich nicht zu erreichen.“ 
Sollte dieser Berichterstatter wirklich imstande sein, in einigermaßen 
schwierigen Fällen die vom Verfasser gewünschte Kontrolle darüber aus- 
zuüben, „was nach den Bestimmungen des Gesetzes geschehen müßte 
oder nicht geschehen dürfte?“ Sollte er imstande sein, den die 
Rechtsbelehrung gebenden Oberlandesgerichtsrat im Schwurgericht gemäß 
dem Wunsche GLASERsS zu überwachen, daß er sich nicht unter dem durch 
S 300 Abs. II RStPO. gegebenen Schutze der Kritikentrücktheit vom Recht 
entferne ? 
Ich meine, eine wirklich wertvolle Kritik, die es verdiente, unter die 
große Menge der fachwissenschaftlich Ungebildeten, also einer Gegenkritik 
nicht Fähigen, durch die Presse verbreitet zu werden, könnte nur der Be- 
richterstatter geben, der in Kenntnis der Akten, des Rechtsstoffes, der Ver- 
fahrenstechnik und an Erfahrung dem Vorsitzenden mindestens ebenbürtig 
wäre. 
Kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt wäre es endlich, wenn man 
GLASERs Forderung unbedingt erfüllen wollte: „Ja, vor die Frage gestellt, 
ob die Justiz mehr Gewähr bieten müsse für absolute Richtigkeit als da- 
für, daß die Allgemeinheit ihr bedingungslos vertraue, würde der Gesetz- 
geber sich für die zweite Alternative entscheiden müssen.“ 
Der Richter muß auch als Erzieher wirken. In der Bekämpfung ge- 
sellschaftlicher Krankheitserscheinungen, wie es ein großer Teil der Ver- 
brechen ist, darf er sich ebensowenig von der durch die Presse so leicht 
mit wechselnden Ansichten erfüllbaren Oeffentlichkeit, d. h. praktisch einer 
Mehrheit von Volksgenossen, leiten lassen, wie es der Arzt in der Aus- 
übung seines Berufes darf. 
Die Oeffentlichkeit war ganz damit einverstanden, daß Sokrates den 
Giftbecher trank. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, daß der nicht 
ausreichende Beweis durch Folterung des Beschuldigten ergänzt wurde, 
sie umstand mit gaffendem Einverständnis den Scheiterhaufen, auf dem die 
Hexe brannte, sie widersetzte sich nicht der Behandlung unglücklicher 
Geisteskranker gleich Verbrechern. Aber sie war es nicht, die die Folter- 
werkzeuge zerschlug, die Scheiterhaufen löschte, die Irren aus den Ketten 
löste. Einzelne haben es gegen die Ansichten der Allgemeinheit erreicht. 
Sie beugten sich nicht der Allgemeinheit, sondern sie hoben sie empor. 
Bamberg. Ferdinand Stauffer.
	        
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