Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

268 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
ohne jeden Vorgang war. Als der König am 26. Juli 1844 im Portale des 
Schlosses den Wagen bestieg, um nach Schlesien zu reisen, wurden plötz- 
lich aus nächster Nähe zwei Pistolenschüsse auf ihn abgefeuert. Die Schüsse 
trafen, der König aber trug, wunderbar genug, nur eine kaum bemerk- 
bare Verletzung davon, da die dichten Falten seines Mantels die Kraft 
der Kugeln geschwächt hatten. Der Mörder war der Alt-Bürgermeister 
von Storkow, Tschech, der Sohn eines geachteten Geistlichen, ein harter, 
tugendstolzer, in grauenhafter Selbstgerechtigkeit erstarrter Mensch, der 
fünfzig Jahre im sicheren Bewußtsein vollkommener Sündlosigkeit dahin 
gelebt hatte, weil er ja immer nur seiner Überzeugung folgte. Durch 
seine herrische Rechthaberei hatte er sich mit den Stadtverordneten und 
dem Landrate seines Städtchens in Händel verwickelt und schließlich ent- 
rüstet seinen Abschied verlangt. Als er darauf um eine Anstellung im 
Staatsdienste bat und ihm dies völlig grundlose Gesuch verdientermaßen 
abgeschlagen wurde, da wähnte er nicht nur sein eigenes Recht, sondern alle 
Gerechtigkeit im Staate zerstört. Er brachte seine Bitte bis zum Thron- 
folger, zur Königin, zum Könige. Auch hier abgewiesen, nahm er sich vor, 
als ein Gerechter im Namen Gottes die Strafe zu vollziehen an dem 
Monarchen. Ruhig, ohne alle Gewissensbedenken bereitete er die Tat 
vor und ließ zuletzt noch bei einem der Daguerreotypisten, die jetzt über- 
all in den deutschen Städten ihre Läden aufgeschlagen hatten, sein Bild 
aufnehmen: in hochtheatralischer Stellung, die Hand erhoben um Kraft 
von oben zu erflehen. Auch im Gefängnis bewahrte er unerschütterlich die 
Kälte des verstockten Fanatikers bei vollkommener Klarheit des Verstandes. 
Tschech hatte niemals einer Partei angehört. Seine Tat war ge- 
wiß kein eigentlich politisches Verbrechen, aber ebenso gewiß aus dem Geiste 
der Zeit heraus geboren. Aus ihr redete dieselbe freche, jede Obrigkeit, 
jede gegebene Ordnung des Menschenlebens verachtende subjektive Über- 
hebung, die sich seit den Zeiten der Jakobiner und der Unbedingten in 
allen Wandlungen des modernen Radikalismus bekundet hatte. Darum 
sprach auch das öffentliche Gewissen nach der Untat keineswegs sicher 
und einmütig. Zwar die große königstreue Mehrheit der Preußen zeigte 
sich tief empört; doch in zahllosen Gesprächen, Anspielungen, kunstvoll ver- 
hüllten Zeitungsartikeln ward auch eine widerliche Schadenfreude laut. 
Die Revolution kündigte sich schon an, die Obrigkeit begann ihre Würde, 
der Königsmord seine Schrecken zu verlieren. Ein in mannigfachen Les- 
arten verbreitetes Berliner Lied „war wohl je ein Mensch so frech wie 
der Bürgermeister Tschech?“ zog das unheimliche Ereignis in den Schmutz 
der Gasse herab; seine hämischen Witze über das fromme Königspaar 
klangen fast, als ob der Bänkelsänger bedauerte, daß „der verruchte Atten- 
täter“ nicht besser getroffen hätte. In den Brandschriften der Flüchtlinge 
vollends ward dies Bedauern ganz offen ausgesprochen; Karl Heinzen 
setzte auf die letzte Seite seines neuesten Pamphlets nur die eine groß
	        
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