274 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
kennbar drängen die Ideen des Westens in den Osten vor, da gelte es
den Staat vor Überstürzung zu behüten. Für die zweite Kammer wünschte
er das Wahlrecht dergestalt zu erweitern, daß auch die Intelligenz, der
Handel, die Gewerbe ihre Vertretung fänden. Vor allem aber verlangte
er wieder rechtliche Sicherheit für die neuen Institutionen, und darum
eine regelmäßig wiederkehrende Berufung des Vereinigten Landtags; denn
sonst würden Mißtrauen, Zweifel, übergriffe niemals aufhören.“) Der
König aber verabscheute gerade die periodische Wiederkehr der Reichsstände
als einen revolutionären Gedanken; er fürchtete, seine königliche Würde
einzubüßen, wenn er diese Versammlung nicht ganz in seiner Hand be—
hielte, und sagte bitter: Arnim hat mir einen Entwurf vorgelegt, wie ich
ihn wohl von Flottwell, aber nicht von ihm erwartet hätte. Bei einem
Vortrage am 21. Mai 1845 kam es zu lebhaften Erörterungen. Arnim
entschloß sich, zum zweiten Male um seinen Abschied zu bitten.
Sein Name stand eben jetzt im übelsten Rufe bei den Liberalen; denn
gerade in diesen Maitagen wurden die gefeierten badischen Kammerredner
Itzstein und Hecker aus Berlin ausgewiesen, als sie angeblich eine Er—
holungsreise durch die preußischen Städte antreten wollten. In jener
Zeit war es aber noch niemals vorgekommen, daß ein Süddeutscher in
Berlin und Königsberg Erholung gesucht hätte. Selbst der minder
radikale Welcker hatte vor vier Jahren, als er wirklich nur wegen eines
Familienfestes nach Berlin kam, den Argwohn der Polizei erregt und
nach einer urkräftigen Ständchen-Rede die Stadt eilig wieder verlassen
müssen. Jetzt suchte man sogleich von Amts wegen zu erforschen, was
die beiden im Schilde führten, und es ergab sich bald, daß sie in den
Bürgervereinen der Städte aufregende Reden halten und Verbindungen
anknüpfen wollten; Hecker war es ja, der die Tochter Tschechs auf ihrer
Flucht zuerst unterstützte. Als Itzstein in Berlin mit dem schlesischen
Grafen Reichenbach, einem fanatischen Radikalen, insgeheim zusammen—
kam, offenbar um den Feldzugsplan zu verabreden, da befahl Arnim
sofort die Ausweisung.“*) Die Verfügung war gesetzlich, da die Badener
nach löblichem Bundesrecht in Preußen für Ausländer galten — aber
auch sehr unklug; denn alsbald erklang durch die liberale Presse ein Wut—
geschrei, das weit mehr schadete als die Redekunst der Ausgewiesenen.
Eine angeblich in Koblenz gedruckte „Adresse deutscher Preußen“ dankte
den beiden, „daß sie unserer vielgepriesenen Regierung eine eklatante Ge—
legenheit gegeben haben, ihre wahre Gesinnung an den Tag zu legen.
Sie ist dabei zum erstenmal ganz aufrichtig gewesen, sie hat zum ersten—
mal ohne Paraphrase ihre Herzenssprache, nämlich russisch gesprochen.“
Johannes Scherr fügte seinem pöbelhaften Buche „das enthüllte Preußen“
*) Arnims Denkschriften vom 13. 14. 23. Mai 1845.
*“) Arnim an Thile, 22. Mai 1845.