Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

406 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. 
hunderts treulich wieder. Als Rauch endlich mit der Ausführung beauf- 
tragt wurde, da sah er alsbald, daß Friedrichs stolze Wahrhaftigkeit sich 
mit klassischem Pomp sogar noch weniger vertrug als die schlichte Größe 
der Feldherren des Befreiungskrieges. Den alten Fritz, dessen Gestalt 
noch in aller Gedächtnis lebte, auf eine Trajanssäule stellen oder in einen 
Tempel oder als Triumphator auf eine Quadriga, wie noch Schinkel vor- 
geschlagen hatte, das hieß das Volksgefühl beleidigen; und von der volks- 
tümlichen Wirksamkeit der Kunst war Rauch ebenso tief überzeugt wie 
sein Liebling Rietschel, der dem Meister ermutigend schrieb: vom Volke 
begriffen werden, es erheben, begeistern, hierdurch erhält ein Kunstwerk 
die wahre Autorität. Auf Rauchs Antrag genehmigte der alte König ein 
halbes Jahr vor seinem Abscheiden die Errichtung eines großen Reiter- 
standbilds; es war die letzte gute Tat, die der anspruchslose und doch so 
still sinnige Mäcenas der deutschen Kunst erwies. Enthusiastisch ging der 
Nachfolger auf den Gedanken ein; er erlaubte, den Plan zu erweitern, 
am Sockel des Königsstandbilds den ganzen Heldenkreis der friderizianischen 
Zeiten in mächtigen Erzgestalten darzustellen und suchte dem Meister selbst 
bei der Komposition zu helfen. Künstler, Gelehrte, Offiziere wurden be- 
fragt, wer einen Platz auf dem Sockel verdiene. Die langwierigen Ver- 
handlungen erschienen fast wie ein historischer Familienrat des preu- 
ßischen Volks; man empfand die Macht einer noch in der Gegenwart fort- 
wirkenden großen Geschichte, alle die alten Soldatengeschlechter setzten ihren 
Stolz darein, daß ihre Ahnen auf dem nationalen Ehrendenkmal nicht 
fehlen sollten. 
Das geistvolle, dem Maler so willkommene Gesicht des großen Königs 
ließ sich unbeschattet vom Bildhauer kaum darstellen, da der Ausdruck 
ganz in den mächtigen Augen lag und das Profil nur zwei scharfe Linien 
zeigte. Darum mußte Rauch den Kopf Friedrichs mit dem Hute bedecken, 
wie die Hellenen den Zwiebelkopf ihres Perikles unter dem Helme ver- 
bargen. Als eine Erinnerung gleichsam an die früheren antikisierenden 
Entwürfe blieb nur der schwere Krönungsmantel, der dem Herrscher um 
die Schultern geschlagen zu dem Dreispitz, dem Krückstock, der Uniform 
wenig stimmte. Streng in der Tracht der Zeit wurden die Bildwerke 
des Sockels gehalten: die vier Reitergestalten der ersten Heerführer des 
Königs aus den Ecken hervorsprengend, dazwischen die dichte Schar der 
Generale, auf der Rückseite auch die Staatsmänner und Denker. Welch' 
eine Zumutung an den greisen Künstler, der soeben noch in der hellen 
Schönheit seiner Walhalla-Viktorien geschwelgt hatte, „diese sämtlich von 
einem Friseur mit gleicher Lockenzahl über dem Ohr frisierten Menschen“ 
mit ihrer häßlichen Tracht zu bekleiden; er fühlte sich zuweilen „geistig 
fertig“. Doch sein eiserner Wille hielt stand bei der ungeheueren Arbeit. 
Jedem der Köpfe, die er zumeist nur aus schlechten Bildnissen kannte, 
verstand er ein kräftiges persönliches Leben einzuhauchen; die bald ganz
	        
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