Schwann. Dove. Helmholtz. 431
die den kühnen Versuch wagte, den Zusammenhang der gesamten Natur—
kräfte nachzuweisen, die Physik als Bewegungslehre aufzufassen. Ähnliche
Ideen hatte kurz zuvor, ohne daß Helmholtz darum wußte, der Heilbronner
Arzt Robert Mayer ausgesprochen, einer jener unseligen, zwischen Genie
und Wahnsinn schwankenden Geister, die unter den Erfindern und Ent—
deckern nicht selten erscheinen. Ermutigt durch Humboldts Beifall, un—
geschreckt durch den Spott und den Zweifel vieler anderen Fachgenossen,
verfolgte Helmholtz den Gedanken weiter, und es gelang ihm, die noch
vorherrschende halbmystische Vorstellung von einem Spiele verschiedener
Naturkräfte zu verdrängen durch die klare Erkenntnis eines Kreislaufs
der Bewegungen. Er erwies, daß die Natur einen unzerstörbaren und
unverlierbaren Vorrat von Energie oder wirkungsfähiger Triebkraft ent—
hält, die in mannigfachen Formen erscheinen kann, bald als gehobenes
Gewicht, bald im Schwunge bewegter Massen, bald als Wärme oder
chemische Verwandtschaft. Damit war der eigentliche Hauptgedanke der
modernen Naturwissenschaft ausgesprochen, ein Gedanke ebenso folgenreich
wie einst Newtons Gesetz der Schwere, und es ergab sich die Mög—
lichkeit eines neuen, auf streng erweisbare Beobachtung gegründeten natur—
philosophischen Systems, das freilich erst in einer unabsehbaren Zukunft
sich runden konnte. Ein philosophischer Kopf, an Kant gebildet, hielt
Helmholtz die Grundsätze des bewußten Empirismus immer fest, bis er
schließlich zu der Erkenntnis gelangte, daß selbst die Axiome der Geo—
metrie nur Erfahrungstatsachen sind, und Räume, in denen andere
Gesetze gelten, sich wohl denken lassen. In allen diesen bahnbrechenden
Köpfen der neuen Naturforschung blieb der alte schöne deutsche Idealismus
noch lebendig; sie forschten im Bereiche der Erfahrung zu kühn zugleich und
zu gewissenhaft, als daß sie sich je hätten vermessen sollen, die Schranken
der Erfahrung zu leugnen. Erst ihre kleineren Nachfolger verfielen in
materialistische Plattheit.
Die Medizin wurde von dem Aufschwung der Naturwissenschaft vor—
erst noch wenig berührt. Die große Mehrzahl der Hausärzte befolgte noch
die alte rohe Praxis, die durch Brech= und Abführungsmittel, durch Brunnen—
kuren, durch Haarseile und Fontanelle die gefürchteten bösen Säfte und
Krankheitsstoffe aus dem Leibe hinauszutreiben suchte; kein Wunder, daß
manche der mißhandelten Kranken sich zu den sanften Mittelchen Hahne-
manns und seiner neuen homöopathischen Schule flüchteten. Und wie
beschämend dürftig war doch noch die Kenntnis des menschlichen Körpers.
Wie viele tausend Kadaver hatte man nun schon zerschnitten, und noch
wußte niemand, zu welchen Funktionen eigentlich die Milz oder der
Blinddarm bestimmt seien. Selbst Auge und Ohr blieben noch fast un-
bekannt; die Arzte mußten erst abwarten, ob ihnen die Physiker vielleicht
die Instrumente zur genauen Beobachtung dieser edlen Organe erfinden
würden. Nur die Chirurgie hielt gleichen Schritt mit den Naturforschern: