Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

520 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
ergrimmte Volk, alles zertrümmernd, selten raubend, in den Fabriken 
der Nachbarorte. Und es war wirklich nur die Raserei der Not, was 
diese Tobenden verblendete; von den Schriften der Kommunisten hatten die 
Armen, die sich abends ihre kalte Stube mit einem Kienspan erleuch- 
teten, nie ein Wort gelesen. Zu spät erkannte Merckel, wie gründlich er 
sich über die Lage getäuscht hatte. Er eilte selbst herbei; Truppen stellten, 
nicht ohne Blutvergießen, die Ordnung her, 83 Gefangene wurden ab- 
geführt, die Hauptschuldigen zu schweren Strafen verurteilt. Nun sen- 
dete die Krone einen Generalbevollmächtigten, Geh. Rat v. Minutoli, 
zur Untersuchung des Notstandes, ließ durch die Seehandlung neue 
Spinnereien errichten, die Erwerblosen bei großen Straßenbauten beschäf- 
tigen, daneben auch mannigfache bare Unterstützungen verteilen. 
Doch die Überlegenheit des englischen Wettbewerbs war nach so 
vielen Unterlassungssünden nicht mehr zu besiegen, auf die Selbsthilfe der 
Arbeiter konnte man ebenso wenig zählen, wie auf die Einsicht der Unter- 
nehmer; die Lage der Weber blieb fast so elend wie zuvor. So war den 
Angriffen des Radikalismus Tür und Tor geöffnet, und der König befahl 
strenge Wachsamkeit wider die schlesischen Blätter, „in welchen das Be- 
streben, die unteren gegen die höheren Stände, die Armen gegen die 
Wohlhabenden aufzuregen, nicht zu verkennen ist.““) In Breslau erschien 
ein halbkommunistisches Blatt, der Volksspiegel; der anrüchige Literat 
Pelz verfaßte unter dem Namen Treumund Welp aufregende Schriften, 
und der Düsseldorfer Maler Karl Hübner aus Ostpreußen ließ in Berlin 
ein Tendenzgemälde „die schlesischen Weber“ ausstellen, dem nachher ähn- 
liche, grob handgreifliche Bilder von Auspfändungen und Wilddieben 
folgten. Heine aber benutzte die Gelegenheit, um wieder einmal seinen 
Groll an dem Monarchen auszulassen, der sich doch während dieser 
traurigen Wirren weit volksfreundlicher gezeigt hatte als sein Beamten- 
tum. Er sang das Weberlied: 
Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, 
Den unser Elend nicht konnte erweichen, 
Der den letzten Groschen von uns erpreßt 
Und uns wie Hunde erschießen läßt. 
Wir weben, wir weben! 
Einige Monate nachher, im Frühjahr 1845 wurde im Hirschberger Tale 
eine Eidgenossenschaft entdeckt, die auf den Umsturz von Staat und Gesell- 
schaft hinarbeitete. An ihrer Spitze stand ein Tischler Wurm zu Warmbrunn. 
Auch er gehörte keinem der auswärtigen Geheimbünde an; er kannte je- 
doch ihre Schriften und hatte ganz in ihrem Sinne eine Proklamation ent- 
worfen, um die Gebirgsbewohner aufzurufen gegen „die Unterdrücker der 
arbeitenden Klassen — jene verächtliche Klasse von Menschen, die man 
den Adel nennt, deren Ursprung in den finstersten Zeiten der Barbarei 
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, o. D. 
 
	        
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