Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Christian VIII. 565 
Niemand beherrschte ihn, denn er glaubte, etwas von der geheimnisvollen 
Königskunst, der Kingscraft der Stuarts zu besitzen, und sah mit stillem 
Hochmut auf die kleinen Sterblichen hernieder. Der Kabinettssekretär 
Adler, der ihn von Jugend an auf allen Irrwegen skandinavischer Politik 
begleitet hatte, blieb sein einziger Vertrauter. Vor kühnem Wagen und 
raschen Entschlüssen schrak er zurück, aber mit zäher Geduld hielt er seine 
geheimen Pläne fest, um sie, listig die Schwäche der Menschen benutzend, 
nach und nach zu verwirklichen. Ihm fehlte die Ehrfurcht vor dem Rechte, 
der Glaube an die sittlichen Mächte der Geschichte und darum auch das 
Verständnis für die nationalen Empfindungen seiner Völker. 
So war er trotz seiner diplomatischen Verschlagenheit doch kein 
Staatsmann; er dachte ein anderer Waldemar Attertag zu werden, und 
sein achtjähriges Regiment bereitete die Kämpfe vor, welche den dänischen 
Gesamtstaat zerschlagen sollten. Er hatte sich einst durch feines Spiel die 
norwegische Königskrone für wenige Monate errungen und damals, aller- 
dings nicht ganz freiwillig, die Verfassung unterzeichnet, welche fortan das 
Ideal aller liberalen Skandinavier blieb. Auch nachher stand er noch lange 
im Rufe radikaler Gesinnung, weil er auf einer Reise zufällig in die 
neapolitanische Revolution hineingeraten und dort den Verhandlungen der 
Carbonari nicht ohne Freude gefolgt war.) In reiferen Jahren gelangte er 
zu einer Weltanschauung, die sich mit den Ideen König Friedrich Wil- 
helms nahe berührte. Die Hegelsche Philosophie hielt er für gemeingefähr- 
lich, obgleich er selbst wenig religiöse Empfindung besaß; unschädlicher 
schienen ihm die frommen naturphilosophischen Träumereien seines Lands- 
manns Steffens. Als Erbe der dänischen Alleingewaltsherrscher wünschte 
er eine freie starke Krone, die durch ständischen Beirat nur wenig, nur so 
weit es die Stimme der Zeit durchaus verlangte, beschränkt werden durfte; 
und da die dänischen Provinzialstände den preußischen nachgebildet waren, 
so entschloß er sich auch, den ständischen Reformplänen seines preußischen 
Freundes Schritt für Schritt zu folgen. Wie dieser dachte er erst Ver- 
einigte Ausschüsse zu bilden, nachher einen Vereinigten Landtag für die 
gesamte Monarchie. In einem solchen Reichstage konnte der König teilend 
herrschen, er konnte die Parteien und die Nationen wider einander aus- 
spielen, den Radikalismus seiner Dänen durch die konservative Gesinnung 
der Schleswigholsteiner, das Deutschtum der Herzogtümer durch das 
Dänentum der Inseln niederhalten. 
Alle diese Entwürfe schwebten aber in der Luft, solange der Bestand 
des Gesamtstaates selber nicht gesichert war; die Sorge um die Thron- 
folge drängte sich dem König gebieterisch auf, seit die Augustenburger ihre 
Erbansprüche auf Schleswigholstein öffentlich angekündigt hatten.“) Chri- 
  
*) S. o. I. 665; III. 156. 
"“) S. o. W. 177.
	        
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