Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

572 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
der Mannesstamm in den unzertrennlichen Herzogtümern erbberechtigt 
sei. Theodor Olshausen und seine radikalen Freunde hatten lange, ohne 
viel Anklang zu finden, im Kieler Korrespondenzblatte die seltsame, ganz 
unhistorische Ansicht vertreten, man müsse Schleswig opfern, um Holstein 
desto fester mit dem liberalen Deutschland zu verbinden; doch sobald die 
Angriffe der Dänen bedrohlich wurden, gaben diese „Neuholsteiner“ ehren- 
haft ihre Sondermeinung auf und scharten sich um das Banner des 
Landesrechts. Das ganze Volk war einig, bis auf einzelne Striche Nord- 
schleswigs; erstaunlich schnell drang die Bewegung bis in die Massen 
hinab. Schon im Juli 1844, noch bevor Allgreen Ussing auftrat, erklang 
auf dem schleswigschen Sängerfeste zum ersten Male das Lied von Chem- 
nitz: Schleswigholstein meerumschlungen, deutscher Sitte hohe Wacht! 
Aus den vier Farben Schleswigs und Holsteins wurde, mit Weglassung 
der gelben, die neue blauweißrote Farbe des einen meerumschlungenen 
Landes zusammengesetzt — denn drei Farben mußten es sein, ohne eine 
Trikolore konnte sich diese Zeit einen Freiheitskampf nicht vorstellen — 
und sie tauchte trotz der Verbote immer wieder auf. 
Das Land glaubte fest und ehrlich an seine Selbständigkeit und 
Unzertrennlichkeit, wie an das Thronfolgerecht des Mannesstammes und 
in der Tat standen die Erbansprüche der Augustenburger auf so sicherem 
Rechtsgrunde, als dies irgend möglich war bei Rechten, die in die ver- 
worrene Geschichte entlegener Jahrhunderte zurückreichten denn die alte 
Unteilbarkeit der Lande war von der Krone Dänemark unzählige Male 
feierlich bestätigt, das Königsgesetz dagegen und seine neue Erbfolgeordnung 
niemals in den Herzogtümern als Gesetz verkündet worden. Ernsthafte 
Rechtsbedenken ließen sich eigentlich nur wegen der Herrschaft Pinneberg 
und der Grafsschaft Rantzau erheben. Dieser Landstrich Holsteins, die 
Umgegend Altonas hatte an der verhängnisvollen Herzogswahl des Jahres 
1460 nicht mit teilgenommen; er hatte damals als freies Allod einer 
Seitenlinie der alten schauenburgischen Grafen angehört, war dann, bei 
deren Aussterben (1640), von der königlichen und der Gottorper Linie ge- 
meinsam angekauft worden, späterhin, nach mannigfachen Schicksals- 
wechseln, ganz unter die Herrschaft der königlichen Linie gekommen und 
schließlich, 1806, dem Herzogtum Holstein einverleibt worden. Hier hau- 
sten noch von altersher der Landdrost von Pinneberg und der Admini- 
strator der Grafschaft Rantzau, die reichsten unter dem reichen Beamten- 
tum des Landes, die man neben dem Amtmann von Reinbeck die drei 
Fürsten Holsteins nannte. Hier bot sich allerdings ein ergiebiges Feld 
für staatsrechtliche Doktordissertationen, hier ließ sich in gutem Glauben 
der beliebte Juristenbeweis führen, daß zwei ganz gleiche Dinge doch wie- 
der ganz verschieden sind. Es war aber nur menschlich, daß die Schleswig- 
holsteiner sich um den zweifelhaften verfitzten Rechtszustand dieses Länd- 
chens nicht kümmerten. In allem Wesentlichen hatten sie recht. Nur einzelne
	        
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