Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

576 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
er auf Grund des Kommissionsbedenkens das Erbrecht seiner königlichen 
Thronnachfolger in Schleswig aufrecht halten werde; in einzelnen Teilen 
Holsteins sei dies Erbrecht zweifelhaft, er hoffe jedoch, die Hindernisse zu 
beseitigen und „die vollständige Anerkennung der Integrität des dänischen 
Gesamtstaates zu Wege zu bringen“; im übrigen sollten die Rechte der 
Herzogtümer unangetastet bleiben. Das Kommissionsbedenken selbst wurde 
niemals vollständig veröffentlicht, weil es noch unbestimmter lautete als 
der Offenc Brief selbst. Was davon bekannt ward, ließ sich leicht wider- 
legen. Die Kommission berief sich vornehmlich auf die Tatsache, daß 
die Ritter und Beamten des gottorpischen Anteils von Schleswig, als 
dieser 1721 mit dem königlichen vereinigt wurde, dem Könige Friedrich IV. 
geschworen hatten, „ihm und seinen Erbsuccessoren in der Regierung 
secundum tenorem legis regiac treu, hold und gewärtig zu sein“; 
es lag aber auf der Hand, daß dieser schon nach seinem Wortlaute viel- 
deutige „gewöhnliche Erbhuldigungseid“, der noch dazu nur einmal im 
gottorpischen, niemals im königlichen Schleswig geleistet wurde, ohne die 
Zustimmung der Agnaten und der Landstände an dem Thronfolgerechte 
des Landes gar nichts hatte ändern können.) 
Der Offene Brief entsprach dem Charakter König Christians. Er 
war das Werk einer überfeinen Berechnung und eben deshalb eine un- 
kluge Halbheit; er sollte die Schleswigholsteiner freundlich zum Vertrauen 
auf die landesväterlichen Absichten ihres König-Herzogs ermahnen, aber 
er vergewaltigte das Recht Schleswigs, er drohte auch das Recht Hol- 
steins zu vergewaltigen und wirkte darum ebenso aufregend wie ein vollen- 
deter Staatsstreich. Bei den Dänen, die den geistreichen Epikureer bis- 
her wenig geliebt hatten, errang sich der König jetzt mit einem Male die 
allgemeine Volksgunst. Seinen Rotschilder Landständen dankte er für ihre 
patriotische Gesinnung und fügte nur einen sanften Tadel hinzu wegen 
der offenbaren Überschreitung ihrer Befugnisse. Unter den Deutschen da- 
gegen war die Entrüstung allgemein. Der Statthalter Prinz v. Noer 
legte sein Amt nieder, desgleichen der Präsident der deutschen Kanzlei 
Graf Joseph Reventlow, der Gesandte Reventlow-Altenhof und mehrere 
andere hohe Beamte; auch der Herzog von Glücksburg verzichtete auf seine 
Offiziersstelle. An die Spitze der Deutschen Kanzlei wurde nunmehr Graf 
Carl Moltke gestellt, ein gescheiter, strenger Absolutist, der sich grundsätzlich 
verpflichtet hielt, den Willen des Monarchen auszuführen. Der Statt- 
halterposten blieb unbesetzt, und ganz ohne Einrede schaltete also fortan der 
neue Präsident der schleswigholsteinischen Landesregierung v. Scheel, ein 
gemeiner Ehrgeiziger von niederer Abkunft, der sich zu allem hergab und 
überdies durch seine gallige Unfreundlichkeit die Deutschen abstieß. Den 
holsteinischen Ständen wurde sofort, noch im Juli, eröffnet, daß der 
  
*) S. o. III. 591.
	        
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