Eindruck der königlichen Reden. 53
den? Der König selbst glaubte es fest; er meinte, durch jene Fragen,
die er den Huldigenden gleichsam über den Kopf geworfen, sei eine ganz
eigenartige Verbindung zwischen ihm und seinem Volke entstanden, höchst—
persönlich! wie einst das Verhältnis der mittelalterlichen Fürsten zu ihren
Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre später,
als die Magdeburger Stadtbehörden scharf, aber in gesetzlicher Form,
einer seiner kirchenpolitischen Anordnungen widersprachen, ließ er ihnen
die zornige Frage stellen: „ob das die Erfüllung des feierlichen Hul-
digungsversprechens sei, mir beizustehen, mir treu zu helfen auf meiner
schweren Bahn 9/7)
Jenes rührende Gelöbnis, das er doch nur plötzlich, fortgerissen von
der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, bestärkte ihn also in
der unseligen Neigung, politische Gegner als persönliche Feinde, ja als
Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erst anfing
ruhig nachzudenken, mußte jedermann einsehen, daß die hochtönenden
Reden des Königs keinen einzigen politischen Gedanken enthielten: sie ver-
kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und sagten schlechterdings
nicht, was diese Zukunft bringen sollte. Darum meinte der kluge schlesische
Fabrikant Milde trocken, der König sei ein großer Komödiant — was er mit
Absicht niemals war. Billiger urteilte Friedrich v. Gagern; er sagte: solche
Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der Tat!
Der Wind der Volksgunst setzte plötzlich um, am raschesten in der Haupt-
stadt. Die Berliner schämten sich, so viel Gefühl gezeigt zu haben, und
nun da sie sich wieder auf sich selbst besannen, begannen sie dem Fürsten
zu zürnen, der sie durch den Zauber seiner Persönlichkeit verführt hatte,
ihre eingefleischte ungemütliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je
stürmischer in den Festtagen der Enthusiasmus aufgebraust war, um so
behaglicher entfalteten sich nunmehr alle Unarten des Berlinertums:
die Klatscherei, das kleinliche Afterreden, das Besserwissen in allem und
jedem. Mit einer Boshbeit, die an die schmählichen Zeiten des Tilsiter
Friedens erinnerte, wurde alles, was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt,
heruntergerissen; und schon zeigten manche Schritte des Königs, wie
unsicher er sich im Regiment fühlte. In Königsberg hatte er bei den
üblichen Adelsverleihungen empfohlen, daß der neue Titel nur mitsamt
dem Grundbesitze der Familie auf den ältesten Sohn übergehen sollte;
er mußte jedoch, wie vormals sein Schwager Ludwig von Bayern, die
Erfahrung machen, daß dieser wohlgemeinte Versuch, englischen Adelsbrauch
in Deutschland einzubürgern, auf den unüberwindlichen Widerstand alt-
nationaler Sitten und Unsitten stieß. Bereits bei der Berliner Huldigung
sah er sich genötigt, die neue Anordnung abzuändern, weil die alten Edel-
leute einen bloß an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an-
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.