Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Eindruck der königlichen Reden. 53 
den? Der König selbst glaubte es fest; er meinte, durch jene Fragen, 
die er den Huldigenden gleichsam über den Kopf geworfen, sei eine ganz 
eigenartige Verbindung zwischen ihm und seinem Volke entstanden, höchst— 
persönlich! wie einst das Verhältnis der mittelalterlichen Fürsten zu ihren 
Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre später, 
als die Magdeburger Stadtbehörden scharf, aber in gesetzlicher Form, 
einer seiner kirchenpolitischen Anordnungen widersprachen, ließ er ihnen 
die zornige Frage stellen: „ob das die Erfüllung des feierlichen Hul- 
digungsversprechens sei, mir beizustehen, mir treu zu helfen auf meiner 
schweren Bahn 9/7) 
Jenes rührende Gelöbnis, das er doch nur plötzlich, fortgerissen von 
der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, bestärkte ihn also in 
der unseligen Neigung, politische Gegner als persönliche Feinde, ja als 
Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erst anfing 
ruhig nachzudenken, mußte jedermann einsehen, daß die hochtönenden 
Reden des Königs keinen einzigen politischen Gedanken enthielten: sie ver- 
kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und sagten schlechterdings 
nicht, was diese Zukunft bringen sollte. Darum meinte der kluge schlesische 
Fabrikant Milde trocken, der König sei ein großer Komödiant — was er mit 
Absicht niemals war. Billiger urteilte Friedrich v. Gagern; er sagte: solche 
Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der Tat! 
Der Wind der Volksgunst setzte plötzlich um, am raschesten in der Haupt- 
stadt. Die Berliner schämten sich, so viel Gefühl gezeigt zu haben, und 
nun da sie sich wieder auf sich selbst besannen, begannen sie dem Fürsten 
zu zürnen, der sie durch den Zauber seiner Persönlichkeit verführt hatte, 
ihre eingefleischte ungemütliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je 
stürmischer in den Festtagen der Enthusiasmus aufgebraust war, um so 
behaglicher entfalteten sich nunmehr alle Unarten des Berlinertums: 
die Klatscherei, das kleinliche Afterreden, das Besserwissen in allem und 
jedem. Mit einer Boshbeit, die an die schmählichen Zeiten des Tilsiter 
Friedens erinnerte, wurde alles, was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt, 
heruntergerissen; und schon zeigten manche Schritte des Königs, wie 
unsicher er sich im Regiment fühlte. In Königsberg hatte er bei den 
üblichen Adelsverleihungen empfohlen, daß der neue Titel nur mitsamt 
dem Grundbesitze der Familie auf den ältesten Sohn übergehen sollte; 
er mußte jedoch, wie vormals sein Schwager Ludwig von Bayern, die 
Erfahrung machen, daß dieser wohlgemeinte Versuch, englischen Adelsbrauch 
in Deutschland einzubürgern, auf den unüberwindlichen Widerstand alt- 
nationaler Sitten und Unsitten stieß. Bereits bei der Berliner Huldigung 
sah er sich genötigt, die neue Anordnung abzuändern, weil die alten Edel- 
leute einen bloß an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an- 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.
	        
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