608 V. 8. Der Vereinigte Landtag.
ein aus den gesündesten aristokratischen Kräften des Landes gebildetes
Oberhaus; sein Soldatenverstand konnte nicht begreifen, warum der König
jetzt, da „eine ganz neue ständische Ara geschaffen wird“, sich immer noch
zaudernd vorbehielt, über die Einrichtung der Herrenkurie Weiteres zu be-
stimmen. Nur in einer gesondert tagenden Ersten Kammer — so schrieb
er, sein eigenes Schicksal ahnend — würden die königlichen Prinzen einen
angemessenen Platz finden; den Stürmen einer großen Versammlung, wo
„alle Wirren der politischen Leidenschaft sich zügellos Luft machen,“ dürfe
man sie nicht aussetzen.
Zum zweiten warnte er nochmals vor dem Steuerbewilligungsrechte
der Landstände; das heiße ein Majestätsrecht aufgeben, das seit dem
Großen Kurfürsten dem preußischen Throne seine Selbständigkeit, dem
Staate seine Macht gesichert habe. Zum dritten verlangte er wiederum,
daß alle Finanzsachen ausschließlich dem Vereinigten Landtage zugewiesen
würden. Zum vierten endlich warnte er vor den Gefahren des unbe-
schränkten ständischen Petitionsrechts, das so leicht die europäische Macht-
stellung des Staates und den Bestand seines Heeres schädigen könne.
Hier erinnerte sich der Prinz offenbar des Streites, den er seit so vielen
Jahren mit seinem Freunde Boyen führte, und lebhaft schilderte er nun,
wie die Bewegungspartei in allen Ländern nach Abschaffung der stehenden
Heere strebe, wie sie ihr Ziel auf Umwegen zu erreichen suche, zunächst
Schwächung der Armee, kürzere Dienstzeit für die Linie, seltenere übungen
für die Landwehr verlange. „Daher ist die Neigung unverkennbar, die
Landwehr auf Kosten der Linie zu erheben und ihre Trennung von der
Linie immer greller zu machen, und zu beweisen, daß die strenge militä-
rische Form und Disziplin ihr nicht nötig sei und sie vielmehr die Stel-
lung einer Nationalgarde einzunehmen habe .. Wenn Diskussionen und
Petitionen gedachter Natur dem Vereinigten Landtage preisgegeben werden
und die Presse noch mehr als bisher schon geschehen entfesselt wird, ist
das Bestehen der preußischen Landwehr, wie sie zur wahren Ehre, zur
Wohlfahrt und zum Ruhme des Vaterlandes vor zweiunddreißig Jahren
geschaffen wurde, eine völlige Unmöglichkeit!!“ Kann aber der Staat
nicht mehr seine Armee im Kriege verdoppeln oder verdreifachen, „so tritt
Preußen auch von der Stelle, auf welche seine Armee es gestellt hat,
herab.“ — So lebendig stand dem Prinzen schon vor Augen, was er
nach fünfzehn Jahren selbst erleben und erkämpfen sollte. An die Mög-
lichkeit seiner eigenen Thronbesteigung dachte er jedoch in jenen Tagen
niemals. Vielmehr fuhr er fort: es sei seine Pflicht abzuraten, nicht
von der Erfüllung der alten Verheißungen selbst, wohl aber von dem ein-
geschlagenen Wege, der leicht dazu führen könne, daß demnächst eine Kon-
stitution ertrotzt würde, und der König selbst hätte doch „oft ausgesprochen,
daß eine Konstitution für Preußen unmöglich sei, weil es mit derselben
aufhören würde Preußen zu sein ... Aber noch eine andere Pflicht nötigt