Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

56 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. 
prangte. Dies Testament bezeichnete Schön selbst als sein Lieblingskind, 
auf diesen Rechtstitel begründete er vornehmlich seinen historischen Ruhm. 
Als er im Jahre 1817 die Bildung eines konstitutionellen Ministeriums 
vorschlug, wurde dies längst vergessene Aktenstück zum ersten Male von 
unbekannter Hand in einem liberalen Blatte veröffentlicht*); und bei 
einiger Menschenkenntnis durfte man wohl vermuten, daß auch diesmal, 
bei der wiederholten feierlichen Vorführung des Lieblingskindes, jene liberalen 
Schriftsteller und jungen Freimaurer, welche jederzeit zu Schöns Ver- 
fügung standen, irgendwie mitgewirkt hatten. Die liberale Presse benutzte 
natürlich die willkommene Gelegenheit, um die undankbare Mitwelt an 
die Verdienste des ostpreußischen Staatsmannes zu erinnern; die Polizei- 
behörden aber wurden ängstlich und ließen das gefährliche Bild aus den 
Buchläden entfernen. Nunmehr sendete Schön dem Könige das Faksimile 
der Urkunde, das allerdings bewies, daß er selbst jene Abschiedsworte 
Steins im wesentlichen verfaßt hatte; in seinem begleitenden Briefe 
suchte er den doktrinären, unbestimmten Sätzen des Testamentes einen 
möglichst harmlosen Sinn unterzulegen. « 
So hatte er alles umsichtig für den Hauptschlag vorbereitet. We— 
nige Tage nachher schickte er dem Monarchen eine anonyme Schrift 
von sechs Druckseiten: Woher und Wohin? Ihr leitender Gedanke war 
entlehnt aus einem Artikel über das Preußentum, welchen Arnold Ruge 
kürzlich unter der Maske „eines Württembergers“ in den Deutschen Jahr— 
büchern veröffentlicht hatte. Schön hielt diesen Aufsatz für ein Werk von 
Strauß und eignete sich daraus die Behauptung an, daß Preußen als 
Staat bisher katholisch geblieben sei, von einem politischen Priesterstande 
geleitet werde. In starken Zügen führte er aus, der große Friedrich hätte 
einst ein „kaum denkfähiges Volk“ vorgefunden und durch seine Diener- 
schaft zu erziehen gesucht; diese Dienerschaft aber habe sich mit der Zeit 
überhoben, insbesondere den Grundadel durch eine unerträgliche Bevor- 
mundung erbittert, das ganze Volk am Gängelbande geleitet, die Städte- 
ordnung wie die Provinzialstände verkümmert, die Landwehr „dem Beam- 
ten-Militär“ näher gebracht. Deshalb seien die vor dem Volke stehenden 
begüterten Männer des Königsberger Landtages aufgetreten, um „General= 
Stände“ zu fordern, welche einen großen Teil der Verwaltung sich zu- 
eignen, die Zahl der Beamten vermindern, Verschwendungen entgegen- 
treten, die Landwehr wieder dem Volke annähern, allen Kabalen und 
Polizeikünsten ein schnelles Ende bereiten und, kraft ihrer Kenntnis der 
Volksverhältnisse, auch die Meinung des Volks stets für sich haben würden. 
„Nur durch General-Stände — so schlossen die Blätter — kann und wird 
in unserem Lande ein öffentliches Leben entstehen und gedeihen .. Wenn 
man die Zeit nicht nimmt, wie sie ist, und das Gute daraus ergreift und 
  
*) S. p. I. 330. II. 199 ff.
	        
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