Römer. Stuttgarter Hungerkrawall. 675
nichts, der Haß ist zu groß; ich werde mich in Stuttgart jedes politischen
Ratschlages enthalten, das könnte nur schaden. Er urteilte richtig.
Die von der Presse beständig gebrandmarkte moskowitische Oberherrschaft
bestand zur Zeit nur in der Einbildung der Liberalen: weder König
Friedrich Wilhelm noch der Bundestag noch die Höfe der Mittelstaaten
ließen sich in ihrer inneren Politik durch Petersburger Machtsprüche leiten.
Nikolaus tröstete sich über solche unliebsame Wahrnehmungen, indem er
drohend sagte: „wenn man mich aber brauchen sollte, dann bin ich da
und werde gern helfen!“*) In der Tat sollte nur zu bald, nach der
Revolution, eine Zeit erscheinen, da der von den Liberalen so oft an
die Wand gemalte moskowitische Teufel plötzlich lebendig wurde.
Nun kamen die Hungerjahre, sie brachten dem zerstückelten, überschul-
deten Kleingrundbesitze Württembergs zahllose Zwangsversteigerungen und
entsetzliches Elend. Im Mai 1847 rottete sich der Stuttgarter Pöbel zu
einem Hungerkrawall zusammen. Der König ritt hinaus, allein, wie einst
an seinem Jubeltage, er dachte durch sein Erscheinen die Tobenden zu be-
schwichtigen. Wie ward ihm aber, als ihn die Massen mit Verwünschungen
und Steinwürfen empfingen. Rasch entschlossen führte er selbst seine
Truppen zum Angriff vor, und der Auflauf wurde nicht ohne Blutver-
gießen unterdrückt. Diese Stunde blieb dem Könige unvergeßlich; seit er
die Launen der Volksgunst also durch persönlichen Schimpf erfahren hatte,
befestigte er sich mehr und mehr in seiner harten Menschenverachtung. Tief
empört sagte er nachher zu Radowitz: „Ein solcher Undank nach einer
dreißigjährigen Regierung!“ Er glaubte fest — so blind war sein Zorn
— daß Römer, Murschel und andere Liberale einen großen Aufstand
beabsichtigt hätten, und bedauerte nur die Verräter nicht überführen zu
können.*) Als Römer im Febr. 1848 diese Vorfälle im Landtage zur
Sprache brachte und die Frage stellte, wann die Anwendung von Waffen-
gewalt erlaubt sei, da wollten selbst viele seiner Freunde dem Führer der
Opposition nicht mehr folgen, und Minister Schlayer erwiderte: das
heiße sich gleichsam auf die Seite der Umsturzpartei stellen. Alle zitterten
vor der Revolution. Nur wenige Tage, und sie brach auch über das
Schwabenland herein. —
In Baden hatte die Regierung seit Blittersdorffs Sturz für längere
Zeit allen Halt verloren. Weder Böckh noch der gelehrte Nebenius, der
wieder in das Ministerium zurückgerufen wurde, vermochte mit dem Land-
tag auszukommen. Hinter und neben ihnen wirkten im hohen Beamtentum
Männer von entschieden reaktionärer Gesinnung wie Rüdt v. Collenbach
und Rettig; und dazu währten am Hofe die geheimen Zwistigkeiten fort, da
Großherzog Leopold in seiner unentschlossenen Schwäche überall um Rat
*) Rochows Berichte, Petersburg, 28. Jan., 4. Febr., 12. Aug., 14. Sept. 1846.
**) Radowitzs Bericht, 27. Mai 1847.
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