Zweiter Abschnitt.
Die Kriegsgefahr.
Wie der inneren so schien sich auch der europäischen Politik Preußens
in dem hoffnungsvollen Jahre des Thronwechsels eine Zeit reicher Er—
folge zu eröffnen. Auch diese Erwartungen blieben unerfüllt, nicht eigent—
lich durch die Schuld des neuen Königs, sondern weil der Zustand des
Weltteils für große Entscheidungen noch nicht reif und Preußen am
wenigsten in der Lage war, die verschlungenen Machtverhältnisse Europas
frei zu überblicken. Jedem Staate kommen Zeiten, wo ihn ein über—
mächtiges Interesse zwingt, seinen Gesichtskreis zu verengern. Durch die
unversöhnliche Rachsucht der Franzosen wurden Preußen und Frankreich
während eines Vierteljahrhunderts auf einer Stelle festgebannt, beide
Staaten waren verhindert, ihre natürliche Interessengemeinschaft zu er—
kennen und der friedlichen Welteroberung, welche Englands Handelspolitik
in der Stille einleitete, rechtzeitig entgegenzutreten. Solange die französi—
schen Parteien allesamt die Vernichtung der so unbillig milden Pariser
Verträge forderten, mußte der preußische Staat die Sicherung seiner
Westgrenze als seine nächste, jeder anderen Rücksicht vorgehende Aufgabe
betrachten; denn umringt von hilflosen kleinen Nachbarstaaten, allein an—
gewiesen auf die zweifelhafte Hilfe der beiden weit entlegenen Kaisermächte
sah er sich dem ersten Angriff allein preisgegeben.
Bis an sein Ende, und nicht ohne Erfolg hatte der alte König sich
bemüht diese Gefahren abzuwenden, ein leidliches Verhältnis zu dem
neuen Machthaber Frankreichs herzustellen. Aber der Bürgerkönig stand
selbst nicht fest genug, um den unberechenbaren Aufwallungen des National-
hasses jederzeit Halt zu gebieten; und wie dankbar er auch die Freund—
lichkeit des Königs von Preußen anerkannte, so sah er doch, scharfsinniger
als die Mehrzahl seiner Landsleute, bestimmt voraus, daß dieser deutsche
Staat dereinst Frankreichs gefährlichster Nebenbuhler werden müsse. Nicht
Preußens, sondern Osterreichs Bundesgenossenschaft faßte er ins Auge,
wenn er sich beharrlich um die Gunst der deutschen Mächte bemühte.