Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

682 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
Kabinett ein ängstliches Mißtrauen zeigten. Unterdessen begann auch die 
ultramontane Partei ihre Netze im Großherzogtum auszuwerfen. du 
Thil hielt seine Augen offen; er freute sich aufrichtig, als ihm eines 
Tags aus Schaffhausen ohne Namen eine Flugschrift zugesendet wurde: 
„die Operationen der ultramontanen und absolutistischen Partei in Süd— 
deutschland “— ein Büchlein, das offenbar aus den Kreisen der liberalen 
Priesterschaft hervorgegangen war und mit gründlicher Sachkenntnis nach— 
wies, wie tief sich die klerikale Partei schon an den Höfen des Südens 
eingenistet hatte. In Hessen war der Kanzler Linde ihre beste Stütze. 
Der hatte, aus dem kurkölnischen Herzogtum Westfalen gebürtig, sein 
neues Vaterland Preußen bald unmutig verlassen und nach einer kurzen 
erfolgreichen juristischen Lehrtätigkeit das Kanzleramt der Universität 
Gießen sowie einige andere hohe Staatsämter erlangt. Er gründete die 
Gießener katholische Fakultät, die mit Freiburg und Tübingen wetteifernd 
sich um die wissenschaftliche Bildung des südwestdeutschen Klerus große 
Verdienste erwarb. Den strengen Ultramontanen blieb er stets verdächtig, 
weil er die Verehrung für seinen alten Lehrer Hermes nie ganz verleug- 
nete; und doch wirkte er mit ihnen zusammen, weil er sie als unversöhnliche 
Widersacher Preußens schätzte. Jeder starke Charakter zieht an und stößt 
ab, das gilt von den Staaten wie von dem einzelnen. Wie der preu- 
ßische Staat von jeher große Talente aus dem übrigen Deutschland an 
sich gezogen und mit seinem Geiste erfüllt hatte, so mußte er jetzt auch 
erleben, daß die klerikale Partei des Südens ihre wildesten Preußenfeinde 
allesamt aus Preußen selbst erhielt: Görres, Jarcke, Phillips, Linde. 
Als Erzherzog Max von Osterreich-Este, der reiche, im stillen mächtige 
Gönner der Jesuiten, den Südwesten bereiste, da war in Hessen sein erster 
Gang zu Linde, und du Thil meinte bitter: „er wußte, an wen er sich zu 
wenden hatte.“ Auch in Biebrich, wo Jarcke schon vorgearbeitet hatte, 
scharte sich um den Freiherrn v. Loé eine klerikale Hofpartei, die dem 
sogenannten „nassauischen Rattenkönige“, der Vetterschaft der mächtigen 
Familie Dungern, die Herrschaft zu entreißen trachtete. 
Zwischen so mannigfachen höfischen Parteien wußte du Thil sich 
tapfer zu behaupten; er besaß das volle Vertrauen des Großherzogs und 
verteidigte nach außen hin die Würde seines Fürstenhauses noch immer 
mit der alten Eifersucht. Welche Freude, als er nach vieljährigen Kämpfen 
endlich durchgesetzt hatte, daß Hessen-Homburg nicht einen Anteil an der 
Bundestagsstimme der Darmstädtischen Vettern enthielt, sondern mit einem 
Platze unter den Kleinen der sechzehnten Kurie vorlieb nehmen mußte; 
sonst wäre ja die großherzogliche Virilstimme zu einer Kuriatstimme „de- 
gradiert“ worden! Als den gefährlichsten Mann der liberalen Opposition 
fürchtete man den alten Präsidenten Jaup, der einst bei der Entstehung 
der Verfassung mitgeholfen hatte und jetzt schon längst als verdächtig 
zur Ruhe gesetzt war. Er galt bei Hofe, schon wegen der cynischen Ein-
	        
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