682 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
Kabinett ein ängstliches Mißtrauen zeigten. Unterdessen begann auch die
ultramontane Partei ihre Netze im Großherzogtum auszuwerfen. du
Thil hielt seine Augen offen; er freute sich aufrichtig, als ihm eines
Tags aus Schaffhausen ohne Namen eine Flugschrift zugesendet wurde:
„die Operationen der ultramontanen und absolutistischen Partei in Süd—
deutschland “— ein Büchlein, das offenbar aus den Kreisen der liberalen
Priesterschaft hervorgegangen war und mit gründlicher Sachkenntnis nach—
wies, wie tief sich die klerikale Partei schon an den Höfen des Südens
eingenistet hatte. In Hessen war der Kanzler Linde ihre beste Stütze.
Der hatte, aus dem kurkölnischen Herzogtum Westfalen gebürtig, sein
neues Vaterland Preußen bald unmutig verlassen und nach einer kurzen
erfolgreichen juristischen Lehrtätigkeit das Kanzleramt der Universität
Gießen sowie einige andere hohe Staatsämter erlangt. Er gründete die
Gießener katholische Fakultät, die mit Freiburg und Tübingen wetteifernd
sich um die wissenschaftliche Bildung des südwestdeutschen Klerus große
Verdienste erwarb. Den strengen Ultramontanen blieb er stets verdächtig,
weil er die Verehrung für seinen alten Lehrer Hermes nie ganz verleug-
nete; und doch wirkte er mit ihnen zusammen, weil er sie als unversöhnliche
Widersacher Preußens schätzte. Jeder starke Charakter zieht an und stößt
ab, das gilt von den Staaten wie von dem einzelnen. Wie der preu-
ßische Staat von jeher große Talente aus dem übrigen Deutschland an
sich gezogen und mit seinem Geiste erfüllt hatte, so mußte er jetzt auch
erleben, daß die klerikale Partei des Südens ihre wildesten Preußenfeinde
allesamt aus Preußen selbst erhielt: Görres, Jarcke, Phillips, Linde.
Als Erzherzog Max von Osterreich-Este, der reiche, im stillen mächtige
Gönner der Jesuiten, den Südwesten bereiste, da war in Hessen sein erster
Gang zu Linde, und du Thil meinte bitter: „er wußte, an wen er sich zu
wenden hatte.“ Auch in Biebrich, wo Jarcke schon vorgearbeitet hatte,
scharte sich um den Freiherrn v. Loé eine klerikale Hofpartei, die dem
sogenannten „nassauischen Rattenkönige“, der Vetterschaft der mächtigen
Familie Dungern, die Herrschaft zu entreißen trachtete.
Zwischen so mannigfachen höfischen Parteien wußte du Thil sich
tapfer zu behaupten; er besaß das volle Vertrauen des Großherzogs und
verteidigte nach außen hin die Würde seines Fürstenhauses noch immer
mit der alten Eifersucht. Welche Freude, als er nach vieljährigen Kämpfen
endlich durchgesetzt hatte, daß Hessen-Homburg nicht einen Anteil an der
Bundestagsstimme der Darmstädtischen Vettern enthielt, sondern mit einem
Platze unter den Kleinen der sechzehnten Kurie vorlieb nehmen mußte;
sonst wäre ja die großherzogliche Virilstimme zu einer Kuriatstimme „de-
gradiert“ worden! Als den gefährlichsten Mann der liberalen Opposition
fürchtete man den alten Präsidenten Jaup, der einst bei der Entstehung
der Verfassung mitgeholfen hatte und jetzt schon längst als verdächtig
zur Ruhe gesetzt war. Er galt bei Hofe, schon wegen der cynischen Ein-