Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Hessische Ultramontane. Linde. Gagern. 683 
fachheit seiner Erscheinung, für einen argen Demagogen, obgleich seine 
Wünsche nicht über die Grenzen eines sehr bescheidenen Liberalismus hin— 
ausgingen, und es gelang, den Gefürchteten jahrelang der Kammer fern zu 
halten. Als er im Jahre 1847 doch gewählt wurde, da verweigerte die 
Regierung dem längst Verabschiedeten den Urlaub, und er sah sich vom 
Landtage wiederum ausgeschlossen. „Herr Jaup“, so sagte der Großher— 
zog einst zu du Thil, „wird mir nie als Minister aufgedrungen werden; 
kommt es dahin, so habe ich vorher abgedankt.“*) Er ahnte nicht, wie 
bald sich diese Weissagung buchstäblich erfüllen sollte. Durch die deutsch— 
katholische Bewegung kam der geheime höfische Parteikampf an den Tag. 
Prinz Emil und Linde verlangten scharfe Unterdrückung, Linde bekämpfte 
die neue Sekte auch in geharnischten Schriften. du Thil aber verfuhr 
milder, nach Preußens Vorbilde. Infolge dieser Zerwürfnisse nahm Linde 
endlich, im Dezember 1847 seinen Abschied — um bald nachher den Kampf 
gegen Preußen auf einer größeren Bühne von neuem zu beginnen. 
In dem stillen Landtage ward es erst wieder lebendiger, als die Re— 
gierung ein neues bürgerliches Gesetzbuch vorlegte, das großenteils, aber 
nicht vollständig dem Code Napoleon nachgebildet war. Grundes genug 
für die Rheinhessen, um den alten Haß gegen die rechtsrheinischen Starken— 
burger wieder einmal zu bekunden; nicht einen Buchstaben von dem hei— 
ligen Kodex des fremden Eroberers wollten sie missen. Gefördert durch den 
neuen Rheinischen Verein, begann eine starke politische Bewegung auf dem 
linken Ufer. Der Mainzer Gemeinderat schämte sich nicht, dem Groß— 
herzog in einer Petition zu sagen: der Code Napoleon verbinde die Rhein— 
hessen mit 50 Mill. Belgiern und Franzosen und müsse also auch auf 
dem rechten Ufer eingeführt werden. Da der Landtag gleichwohl den Ge— 
setzentwurf annahm, so fühlten sich die Rheinhessen tief beleidigt. Mainz 
zeigte sich wieder einmal als die Stadt der Klubisten, in allen Weinhäusern 
erklangen Hochrufe auf die Franzosen, und mit den Preußen der Bundes— 
garnison, die man als Feinde Frankreichs verabscheute, suchten die radi— 
kalen Schoppenstecher beständig Händel. Durch diesen rheinhessischen Streit 
wurde auch Heinrich v. Gagern in das öffentliche Leben zurückgeführt. 
Seit jenem Tage, da er die feierliche Frage gestellt hatte: „wo ist bei 
uns, was der Freiheit gleicht?“ — seit vollen zehn Jahren war er den 
Kammern fern geblieben. Jetzt trat er zunächst mit einer Druckschrift 
für „die Rechtsverfassung Rheinhessens“ ein. Es war doch ein Zeichen 
grundverderbter Zustände, daß dieser redliche deutsche Patriot das fremde 
Recht verteidigte. War die französische Rechtseinheit des linken Rhein- 
ufers vorzuziehen oder die halbfranzösische Rechtseinheit des hessen-darm- 
städtischen Reichs? — über diese Frage konnte man wohl streiten; in dem 
Chaos unserer Kleinstaaterei ward alles unklar. Nachher ließ sich Gagern 
  
*) Nach du Thils Aufzeichnungen.
	        
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