Londoner Vertrag v. 15. Juli 1840. 77
dern sei. Das alles sagte er, wie er selbst gestand, unbeauftragt und
unvorbereitet.)
So geschah das Seltsame: die friedfertigste aller Großmächte, die im
Oriente gar kein eigenes Interesse zu wahren hatte, gab jetzt durch den
Mund ihres Gesandten selber den verhängnisvollen Rat, welcher unfehl-
bar einen Waffengang im Mittelmeer, vielleicht sogar einen europäischen
Krieg heraufbeschwören mußte. Palmerston atmete auf. Der Gedanke,
daß man ohne Rußlands Waffenhilfe, ohne offenbare Kränkung Frank-
reichs zum Ziele gelangen könne, leuchtete seinen ängstlichen Amtsgenossen
ein. Schon am 8. Juli konnte er den Vertretern der Ostmächte mit-
teilen, daß er die Mehrheit im Kabinett gewonnen und dem türkischen
Gesandten versprochen habe, England werde den Sultan mit den Waffen
unterstützen.*) Für die Vorbereitung des Kampfes hatte Englands pu-
nische Treue bereits gesorgt. Britische Agenten bereisten als Kaufleute
verkleidet mit wohlgefüllten Beuteln die syrischen Gebirge und hetzten das
Volk wider den gestrengen Pascha auf — eine offenkundige Tatsache,
welche Palmerston späterhin mit gewohnter Dreistigkeit in Abrede stellte.
Schon im Juli stand der ganze Libanon in Waffen. Nachher ließ auch
Metternich, wie er dem Grafen Maltzan selbst erzählte, einen Sendboten
zu den Maroniten abgehen, um ihnen Freiheit des christlichen Glaubens,
Sicherheit von Hab und Leben zu verbürgen, falls sie für den Sultan
gegen den rebellischen Pascha kämpften. *"*) Wenn Mehemed also zugleich
durch die Aufständischen im Lande, durch die britische Flotte an der Küste
bedrängt wurde, dann mußte seine Macht in Syrien rasch zusammen-
brechen. Frohen Mutes schritten die vier Mächte zum Abschluß. Die
Konferenzen drängten sich in rascher Folge, jetzt auch an den Wochentagen.
Bülow empfing von allen Seiten Glückwünsche wegen seines klugen Rates
und wiederholte mit Selbstgefühl die Worte: Be quick and bold! Man
dachte, sobald man fertig sei, den Pariser Hof um nachträgliche Zustimmung
oder doch um mittelbaren Beistand zu bitten.y) Der Österreicher Neu-
mann versprach sofort, österreichische Kriegsschiffe sollten mit den britischen
zusammenwirken. Brunnow war die Liebenswürdigkeit selbst; denn der
Petersburger Hof hatte begreiflicherweise nichts dawider, wenn die befreun-
deten Mächte auf ihre Kosten seine Geschäfte führen wollten.
Am 15. Juli unterzeichneten die Gesandten der vier Mächte mit
Shekib Pascha einen Vertrag, der nachher in der Presse den etwas über-
*) Dieser merkwürdige Vorfall ist schon i. J. 1849 in den „Politischen Briefen und
Charakteristiken aus der deutschen Gegenwart“ (von Usedom) S. 270 ziemlich genau
erzählt, aber noch von keinem Historiker beachtet worden. Usedoms Mitteilungen werden
bestätigt und ergänzt durch Bülows Bericht v. 3. Juli und Bülows Schreiben an
Maltzan v. 9. Juli 1840.
*“) Bülows Bericht, 10. Juli 1840.
*7) Maltzans Bericht, 7. Sept. 1840.
) Bülows Bericht, 14. Juli 1840.