Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.3. Das Staatsrecht der Freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck, Bremen. (7)

84. Der! Senat. 15 
Ueber die Berechtigung zum Erlaß der Vollzugsverordnungen für die Reichsgesetze ent- 
scheidet in erster Linie das Reichsrecht. (S. Seydel in Hirth's Annalen 1874 p. 1144.) In 
so weit also Reichsgesetze den Erlaß von einzelnen, zu ihrer Ergänzung oder Ausführung er- 
forderlichen Anordnungen einer bestimmten Landesbehörde überweisen, ist diese so bezeichnete Be- 
hörde ohne Rücksicht auf die Bestimmungen der Landesverfassung zum Erlaß solcher Anordnungen 
berechtigt. Demnach steht diese Competenz dem Senat zu, wenn die betreffende Anordnung im 
Reichsgesetz der „obersten Verwaltungsbehörde“ oder „der Centralbehörde“ oder „der Regierung"“ 
übertragen ist. Nur subsidiär wird das Landesverfassungsrecht für diese Frage in Betracht 
kommen. Eine specielle Bestimmung über dieselbe enthält die hamburgische Verfassung nicht. 
Denn die Vorschrift des Art. 61, daß der Senat die nöthigen Vollzugsverordnungen erläßt, kann 
dem Zusammenhang nach nur auf Landesgesetze, die zwischen Senat und Bürgerschaft vereinbart 
sind, bezogen werden. Auch ist eine analoge Anwendung dieser Verfassungsbestimmung auf Reichs- 
esetze nicht zulässig, denn zwischen Reichs= und Landesgesetzen besteht der Unterschied, daß die 
etzteren im speciellen Hinblick auf die Landesverfassung beschlossen werden, und somit implicite 
das, was sie der Vollzugsverordnung überlassen, derjenigen Instanz, welche zum Erlaß solcher 
Vollzugsverordnungen competent ist, zur alleinigen Entscheidung überweisen. Eine gleiche Rück- 
sicht liegt der Reichsgesetzgebung nicht ob. Demnach ist der Senat auch in Bezug auf die Aus- 
führungsverordnungen zu den Reichsgesetzen, wenn nicht im Reichsgesetze eine anderweitige 
Bestimmung enthalten ist, an die Zustimmung der Bürgerschaft gebunden, insofern es sich um 
Bestimmungen handelt, welche nach der hamburgischen Verfassung Gegenstand der Gesetzgebung 
sind. Die Frage der Vollzugsverordnungen zu den Reichsgesetzen ist zweimal Gegenstand von 
Erörterungen zwischen dem Senat und der Bürgerschaft beziehungsweise dem Bürgerausschuß 
geworden; das erste Mal bei Gelegenheit der Seemannsordnung und das zweite Mal bei dem 
Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes, und obgleich der Senat ein weitergehen- 
des Verordnungsrecht in Anspruch nahm, und andererseits ein von der Bürgerschaft niederge- 
setzter Specialausschuß den Senat nicht als „Regierung“ im Sinne des letzterwähnten Gesetzes 
anerkennen wollte, (s. No. 38 der Berichte der Specialausschüsse vom Jahre 1875) schließlich doch 
im obigen Sinne beantwortet worden. 
  
Der Senat ist ferner die oberste Verwaltungsbehörde und übt die 
Aufsicht über sämmtliche Zweige der Verwaltung aus, wie er denn auch die Beschwerde- 
instanz gegen alle Verfügungen der Verwaltungsbehörden bildet. Seine Mitglieder 
stehen an der Spitze der einzelnen Verwaltungsabtheilungen. Ihm liegt die Aufrecht- 
erhaltung der gesetzlichen Ordnung und die Wahrung der Sicherheit des Staates in 
höchster Instanz ob, er ernennt die höheren Verwaltungsbeamten, soweit ihre Ernennung 
nicht durch Gesetz den einzelnen Verwaltungsbehörden übertragen ist, in welchem Falle 
ihm die Bestätigung der Wahl zusteht. Er nimmt die sangestellten Beamten in Eid, 
wie überhaupt, insofern das Gesetz nicht anders bestimmt, alle dem Staate abzuleistenden 
Eide oder Versicherungen an Eidesstatt vor dem Senat abgelegt werden. Er übt die 
Oberaufsicht über die Justizbehörden, über die religiösen Gemeinschaften, die milden 
Stiftungen und Wohlthätigkeits-Anstalten, sowie über die Landgemeinden aus und hat das 
Begnadigungsrecht. — Ihm stehen die nach der Reichsverfassung (Art. 66) den Contingents- 
herren eingeräumten Rechte zu, soweit dieselben nicht durch die bereits erwähnte Mili- 
tär-Convention mit Preußen vom 23. Juli 1867 beschränkt sind. — 
Die Artikel 27 und 53 der Verfassung erklären die Mitglieder des Senats und 
die Behörden dafür verantwortlich, daß durch ihre Amtsführung weder die Verfassung, 
noch die bestehenden Gesetze verletzt werden, und stellt ein Gesetz über den Umfang und 
die Geltendmachung dieser Verantwortlichkeit, über die Theilnahme der Bürgerschaft an 
solcher Geltendmachung, sowie über die desfalls zuständigen Gerichte in Aussicht. Ein 
solches Gesetz ist bisher nicht erlassen. — Diese Verantwortlichkeit kann demnach zur Zeit 
nur im Wege des Civilprocesses und strafrechtlich nur insoweit zur Geltung gebracht 
werden, als eine Verletzung der allgemeinen Strafgesetze in Frage steht 7. 
  
1) Der Art. 24 der Verfassung schreibt vor, daß in den Fällen des Art. 53 der Senat das 
Begnadigungsrecht nur auf Antrag oder mit Zustimmung der Bürgerschaft ausüben kann. Auch 
diese Beschränkung des Gnadenrechtes tritt so lange nicht in Kraft, als das im Art. 53 in Aus- 
sicht gestellte Gesetz nicht erlassen ist, da sie sich nur auf das in diesem Artikel bezeichnete Ver- 
gehen, nicht auf Verletzung der allgemeinen Strafgesetze bezieht. 
 
	        
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