34 Wolffson, Das Staatsrecht der freien und Hansestadt Hamburg. 812.
ihnen obliegenden Pflichten bestehen im Wesentlichen in Ausübung der Orts- und Gassen—
polizei, der Armenpflege, der Sorge für das Schulwesen, für Ausführung der Staats-
gesetze, soweit ihnen diese Ausführung übertragen ist, und in der Mitwirkung bei der
Sicherheits= und Gesundheitspolizei. Als Angehörige der Gemeinde gelten vorzugsweise
diejenigen, welche den Unterstützungswohnsitz in der Gemeinde haben, und diejenigen Reichs-
angehörigen, die in der Gemeinde Grundstücke mit selbstständigem landwirthschaftlichem
Betrieb eigenthümlich oder pachtweise besitzen.
Die Organe der Gemeinden sind die Gemeindeversammlung und der Gemeinde-
vorstand. Die Gemeindeversammlung kann je nach Bestimmung des Statuts aus allen
Gemeindemitgliedern oder aus gewählten Vertretern bestehen.
Wahl= oder Stimmrecht haben alle selbstständige, volljährige steuerpflichtige Ge-
meindeangehörige, die mit ihren Steuern nicht rückständig sind. Da, wo die Grundeigen-
thümer bisher allein stimmberechtigt waren, kann ihnen in Bezug auf Stimm-oder Wahl-
recht ein Vorzug eingeräumt werden. Die Gemeindeversammlung wählt den Gemeinde-
vorstand. Mehrere Gemeinden können sich mit Erlaubniß des Landherrn zu einer einzigen
vereinigen, können auch für bestimmte gemeinschaftliche Zwecke Interessentschaften bilden.
Der Landherr hat dafür Sorge zu tragen, daß durch die Verwaltung kein Gesetz verletzt,
das Interesse des Staates und anderer Gemeinden nicht gefährdet und die Rechte ein-
zelner Classen der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden. Gegen seine Anordnungen
findet ein Recurs an den Senat statt.
Im Amte Rützebüttel wird er durch einen Amtsverwalter vertreten, gegen dessen
Verfügungen Beschwerden zunächst an den Landherrn gehen.
Zur Verwendung für ihre Zwecke sind jeder Gemeinde sieben Achtel des Ertrages
der in ihrem Bezirke erhobenen Grundsteuer überwiesen 1). Außerdem übernimmt der
Staat die Kosten der Schulbauten, sowie die gesetzlichen Pensionen und Dienstzulagen für
die Lehrer?.
§ 12. Staat und Kirche. Die Verfassung gewährleistet in ihrem Art. 110 volle
Glaubens= und Gewissensfreiheit. Durch das religiöse Bekenntniß soll die Ausübung der
bürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt werden können, aber auch den bürger-
lichen Pflichten kein Abbruch geschehen. Den gesetzlich bestehenden oder fernerhin durch
Beschluß von Senat und Bürgerschaft zugelassenen religiösen Gemeinschaften steht das Recht
der selbstständigen Verwaltung ihrer Angelegenheiten unter staatlicher Oberaussicht zu).
Die gesetzlich bestehenden Kirchengemeinden sind die evangelisch-lutherische, die deutsch-,
französisch= und englisch-reformirte, die englisch-bischöfliche, die römisch-katholische, die Bap-
tisten-, die deutsch-israelitische und portugisisch-jüdische Gemeinde. Niemand ist verpflichtet,
einer Kirchengemeinde anzugehören ). Für die Kirchenangelegenheiten der christlichen, nicht
lutherischen Religionsverwandten, sowie für den israelitischen Cultus bestehen besondere
Senats-Commissionen, welche Namens des Senats die staatliche Oberaufsicht führen.
1) Bekanntmachung vom 12. Juli 1871, Ges. Samml. p. 59.
r 3 Geset betreffend das Schulwesen in den Landgemeinden vom 12. Dec. 1879, Ges. Samml.
p. ..
3) Ueber den Begriff der staatlichen Oberaufsicht, s. die Mittheilung des Bürgerausschusses
an die Bürgerschaft vom Juni 1878 nebst Anlagen (Nr. 8 der Berichte des Bürgerausschusses). —
Beiblatt zur Handelsgerichtszeitung Jahrgang 1879 p. 10.
4) Dieser Grundsatz, der als eine Folge der Trrfaffungsbestimmung über die Unabhängig-
keit der bürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß allseitig anerkannt ist, hat einen speciellen
gesetzlichen Ausdruck nur im § 3 des Gesetzes betreffend die Verhältnisse der hiesigen israelitischen
Gemeinde vom 7. Nov. 1864 (Verordnungen p. 194) gefunden, indem durch dieses Gesetz der frühere
Zustand aufgehoben wurde, demzufolge die Staatsangehörigkeit der Israeliten durch ihre Gemein-=
deungehörigkeit bedingt war. — Siehe Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft vom Jahre
1863 Nr. 103, namentlich p. 795. — Eine gesetzliche Regelung der Form für den Austritt aus
den christlichen Gemeinden besteht nicht.