70 Sievers, Das Staatsrecht der freien Hansestadt Bremen. 82.
den Reformen von 1848 zu erhalten strebt. Am 21. Februar 1854 wurde sie mit 7 Ergänzungs-
gesetzen publicirt 7.
Im Jahre 1875 wurde diese gesammte Grundgesetzgebung einer erneuten Revision
unterzogen, welche indes die Grundlagen der Verfassung von 1854 unverändert ließ und
nur den Zweck verfolgte, den Wortlaut der Gesetze mit den durch die Gründung des
deutschen Reiches eingetretenen Umgestaltungen in Einklang zu bringen.
Die neue Redaction wurde am 17. November 1875 verkündet ?). Sie bildet das
noch heute geltende Grundgesetz des bremischen Staates und besteht:
a) aus der eigentlichen Verfassung?),
b) aus neun organischen Gesetzen, welche betreffen:
1. den Senat;
2. die Bürgerschaft );
3. die Deputationen;
4. die Erledigung von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Senate und der
Bürgerschaft;
5. die richterlichen Behörden?)
6. die Entscheidung von Competenz-Conflicten zwischen Verwaltungsbehörden
und Gerichten?);:
7. die Handelskammer;
8. die Gewerbekammer;
9. die Kammer für Landwirthschaft.
§ 2. Staatsgebiet und Bevölkerung. Das Staatsgebiet der freien Hansestadt
Bremen umfaßt außer der eigentlichen Stadt (Altstadt, Neustadt und Vorstädte mit
114 231 Einwohnern) das sog. Landgebiet (35 Landgemeinden mit zus. 27 136 Einwohnern)
und die Hafenstädte Vegesack (3793 Einwohner) und Bremerhaven (14 258 Einwohner).
Ueber Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit sind die Bestimmungen
des Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870 für Bremen in gleicher Weise maßgebend, wie für
die übrigen Bundesstaaten.
Eine Eigenthümlichkeit des bremischen Staatsrechts ist es indes, daß die Ausübung
der wichtigeren politischen Rechte nicht schlechtweg an die Staatsangehörigkeit, sondern an
das sog. Staatsbürgerrecht geknüpft ist?). Das Gesetz verpflichtet die Staatsan-
gehörigen unter Androhung von Ordnungsstrafen zur Ableistung des Staatsbürgereides ).
1) Daß bei dieser geschichtlichen Entwickelung die Rechtscontinuität gewahrt ist, wird man
nicht annehmen können. Die Verfassung von 1849 berechtigte den Senat zu dem von ihm einge-
schlagenen einseitigen Vorgehen nicht: auch läßt sich ein Widerspruch dieser Verfassung mit dem
Bundesrechte nicht nachweisen, und es erscheint zum mindesten sehr zweifelhaft, ob das unmittel-
bare Einschreiten des Bundes nach den Grundgesetzen desselben zu rechtfertigen ist. Vergl. Za-
chariä, a. a. O. § 276 sub. II; Kotzen berg a. a. O. p. 55. Wenn man daher auch zugeben
muß, daß in dem Conflicte das formelle Recht auf Seiten der Bürgerschaft war, so hatte der
Senat doch zweifellos das materielle historische Recht für sich und seinem energischen Einschreiten
ist es z; danken, daß das öffentliche Leben der Stadt wieder in gesundere Bahnen eingelenkt ist.
) G. Bl. p. 185.
3) Novellen v. 1. Dec. 1878 (G.Bl. p. 73) die Zahl der Mitglieder des Senats betr.;
v. 27. Mai 1879 (G. Bl. p. 173) die Organisation der Gerichte betr.
4) Novelle v. 31. Juli 1879 (G Bl. p. 241) Wahlberechtigung und Wählbarkeit betr.
5) Dieses Gesetz ist durch das Gerichtsverfassungsgesetz des deutschen Reichs vom 27. Jan.
1877 und durch das brem. Gesetz, betr. die Ausführung desselben v. 17. Mai 1879 (G.Bl. p. 107)
vollständig umgestaltet.
6) Aufgehoben durch Gesetz vom 25. Juni 1879 betr. die Entscheidung von Streitigkeiten
zwischen den Gerichten und Verwaltungsbehörden über die Zulässigkeit des Rechtsweges (G.Bl. p. 216).
7) Verf. §§ 39, 111. Gesetz, die Handelsk. betr. § 2. Gesetz, die Kammer f. Landw. betr. § 3
8) Obrigkeitl. Verordn. die Abstattung des Staatsbürgereides betr. v. 1. Jan. 1863 (G.Bl.
p. 5); Bekanntmachung v. 1. Juli 1870 § 5 (G. Bl. p. 46); Gesetz v. 6. Juni 1873 (G Bl. p. 85).
Wer durch Abstammung oder Legitimation die Staatsangehörigkeit erworben hat, muß den Eid
nach Vollendung des 18. und vor Vollendung des 21. Lebensjahres leisten.