72 Sie vers, Das Staatsrecht der freien Hansestadt Bremen. 83.
dann völlig frei, wenn trotz der eingetretenen Vacanz jene Minimalzahlen im Senate
vertreten sind 7.
2) Wer mit einem Mitgliede des Senats in gerader Linie verwandt oder ver-
schwägert oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten
Grade verschwägert ist, kann nicht in den Senat gewählt werden ).
Eine Verpflichtung zur Annahme der Wahl findet nicht statt. Auch steht der Aus-
tritt aus dem Senate jederzeit frei. Die Mitglieder beziehen feste Gehalte und sind, in-
soweit sie dem Gelehrtenstande angehören, verpflichtet, die Wahrnehmung ihrer Amts-
geschäfte zu ihrem ausschließlichen Lebensberufe zu machen; den übrigen Mitgliedern,
insonderheit also den Kaufleuten, steht es frei, neben ihren Amtsgeschäften anderweitige
Berufsgeschäfte zu betreiben?).
Innerhalb zweier Wochen nachdem durch Sterbefall oder Austritt eine Vacanz ein-
getreten ist, muß die Wahl eines neuen Mitgliedes erfolgen. Sie wird von der Bürger-
schaft vorgenommen, nachdem vorher durch einen von Senat und Bürgerschaft für jeden
Einzelfall neu zu bestellenden Wahlausschuß die Candidatenliste festgestellt ist.
Das Wahlverfahren ist höchst complicirt. Die Bürgerschaft wird durch das Loos in 5 gleich
große Abtheilungen gesondert. Jede Abtheilung designirt drei Candidaten und wählt einen Wahl-
mann aus ihrer Mitte. Die 5 Wahlmänner der Bürgerschaft treten mit 5 vom Senate aus seiner
Mitte erwählten Wahlmännern zusammen. Dieses Collegium stellt aus den von den Abthei-
lungen der Bürgerschaft designirten Candidaten den definitiven Wahlaufsatz fest. Derselbe muß
drei Namen umfassen; kein Canditat kann auf diesen Wahlaufsatz kommen, für den sich nicht wenig-
stens 6 Stimmen des Wahlausschusses vereinigen, so daß sich für den Senat das wichtige Recht
ergibt, mit den ihm zu Gebote stehenden 5 Stimmen eine ihm mißliebige Persönlichkeit fernzuhalten.
Kommt in dem Wahlausschusse mangels hinreichender Stimmenzahl eine 3 Namen umfassende
Wahlliste nicht zustande, so beginnt das Wahlgeschäft wieder von vorn mit der Vorloosung der
Bürgerschaft. Aus der definitiven Wahlliste wählt die Bürgerschaft einen der 3 vorgeschlagenen
zum Mitgliede des Senats. Alle Abstimmungen des Wahlgeschäfts sind geheim und erfolgen mittels
absoluter Stimmenmehrheit. Gesetz, den Senat betr. §§ 1—18.
Der Senat wählt alle zwei Jahre aus seiner Mitte einen Bürgermeister und zwar
für eine 4jährige Amtsdauer, sodaß zur Zeit stets 2 Bürgermeister fungiren. Es ist
unzulässig, den abtretenden Bürgermeister sofort wiederzuwählen. Mit dem Amte des
Bürgermeisters ist lediglich das Präsidium im Senate (bezw. die Stellvertretung im
Präsidium) verknüpft, und zwar wechselt dasselbe jährlich unter den beiden jeweilig
fungirenden Bürgermeistern"). Dem Präsidenten des Senats steht die Leitung der Ge-
schäfte, die Sorge für die Aufrechthaltung der für den Geschäftsgang bestehenden Ein-
richtungen und für die gehörige Ausführung der von einzelnen Mitgliedern vorzunehmenden
Geschäfte zu?"). Im übrigen ist er lediglich primus inter pares, und nur die Gesammt-
heit der Körperschaft ist im allgemeinen zu staatlicher Action berufen. Für die Wahr-
nehmung verschiedener Geschäftszweige bestehen indes ständige Ausschüsse, welche für eine
2jährige Amtsdauer gewählt werden, und zwar nicht unmittelbar durch das Plenum,
sondern durch einen fünfköpfigen Ausschuß, dessen geborene Mitglieder die beiden Bürger-
meister sind F.
III. Die Bürgerschaft. Dem Senate steht als ein repräsentatives Organ der Gesammt-
heit der Staatsbürger die Bürgerschaft gegenüber. Kann dieselbe in manchen recht-
lichen Beziehungen mit den parlamentarischen Körperschaften monarchischer Staaten in
Parallele gestellt werden, so unterscheidet sie sich von diesen sehr wesentlich dadurch, daß
sie mit und neben dem Senate als Inhaber der Staatsgewalt erscheint. Durch ihre
1) Verf. § 21.
2) Verf. 5 23.
3) Verf. 8§ 24, 27, 29.
4) Verf. 88 30, 31.
5) Verf. § 32.
6) Verf. § 35; Gesetz den Senat betr. §§ 31—34.