Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.3. Das Staatsrecht der Freien und Hansestädte Hamburg, Lübeck, Bremen. (7)

82 Sievers, Das Staatsrecht der freien Hansestadt Bremen. § 9. 
absolut beherrschten außerstädtischen Gebietes desto consequenter fortgeschritten. 
Zunächst erhielten 1870 die Landgemeinden eine Verfassung, welche im wesentlichen der 
hannoverschen Gemeindegesetzgebung von 1859 nachgebildet ist. 1878 ward das gesammte 
Landgebiet nach dem Vorbilde der preuß. Kreisordnung von 1872 zu einem sich selbst 
verwaltenden Kreise constituirt, und 1879 erhielten die Hafenstädte Vegesack und Bremer- 
haben communale Verfassungen, welche sich an den Entwurf der neuen preuß. Städte- 
ordnung anschließen?. 6 
Die Gemeinde-Angehörigkeit hat in der Stadt und im Landgebiete die 
Staatsangehörigkeit zur Voraussetzung und bestimmt sich Erwerb und Verlust derselben 
nach den Regeln, welche das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz v. 6. Juni 1870 
§§ 3 bis 27 über den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes aufgestellt hat 2. 
In den Hafenstädten dagegen ist die Gemeindeangehürigkeit lediglich an den Wohnsitz ge- 
knüpft: es wird aber unterschieden zwischen bloßen Einwohnern und Gemeindebürgern. 
Nur diese sind zur activen Mitwirkung in den öffentlichen Angelegenheiten berufen. Das 
Gemeindebürgerrecht steht jedem männlichen Gemeindeangehörigen zu, der dem Deutschen 
Reiche angehört, die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat, 
seit 3 Jahren seinen Wohnsitz in der Hafenstadt hat und entweder Eigenthümer eines 
dort belegenen Grundstückes ist oder einen gewissen Minimalsatz an städtischer Miethsteuer 
entrichtet 5. 
II. Die Landgemeinden haben das Recht der eigenen Verwaltung ihres Ver- 
mögens, die Regelung der ihnen obliegenden Gemeindelasten und eine gewisse Theilnahme 
an der Handhabung der Polizei. Organe der Gemeinde sind der Gemeindevorsteher und 
die Gemeindeversammlung. Der Gemeindevorsteher wird von der Gemeindeversammlung 
für einen mehrjährigen Zeitraum gewählt; die Wahl bedarf der Bestätigung durch den 
Kreisausschuß, die indes nur aus bestimmten im Gesetze vorgesehenen Gründen verweigert 
werden darf. Der Vorsteher hat die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten auszuüben 
und ist außerdem zur Wahrnehmung gewisser Staatsangelegenheiten in seiner Gemeinde 
verpflichtet; insonderheit übt er selbständig die niedere Wege-, Wasser= und Flurpolizei 
aus, sowie die Ortspolizei in Gewerbesachen; nur bei dem Erlaß von Polizeiverordnungen 
ist er an die Zustimmung der Gemeindeversammlung gerunden. Die Gemeindeversamm- 
lung besteht aus sämmtlichen stimmberechtigten Gemeindeangehörigen. Als stimmberech- 
tigt gelten diejenigen, welche in der Gemeinde ein Gut, einen Hof oder ein für sich be- 
stehendes Wohnhaus eigenthümlich oder nießbräuchlich besitzen, und diejenigen, welche in 
der Gemeinde einen eigenen Haushalt führen. Das Maß der Mitwirkung der Gemeinde- 
versammlung in den Gemeideangelegenheiten ist durch das Gesetz genau begrenzt, erstreckt 
sich indes bezüglich der Verwaltung des Vermögens und der Vertheilung der Lasten auf 
alle Sachen von irgend welchem Belang. In größeren Gemeinden übt ein von der Ge- 
meindeversammlung gewählter Ausschuß die Rechte der Gemeindeversammlung aus. 
Die 35 Einzelgemeinden des Landgebietes sind zu 11 sog. Sammtgemeinden zu- 
sammengefaßt, die indes eine Bedeutung fast ausschließlich auf dem Gebiete der Armen- 
pflege haben. 
Die Verwaltung des gesammten Landgebietes leitet ein Mitglied des Senats, der 
Städte. Die Kleinstaaterei zwingt den Juristen vielfach mit leeren Begriffen zu operiren. Recht- 
lich sind die Hansestädte so gut souveräne Staaten, wie das Königreich Preußen; aber nach dem, 
was im historisch-politischen Sinne den Staat erst ausmacht, würde man vergebens suchen. 
1) Gesetz, betr. Verwaltung v. des Landgebietes vom 23. Juni 1878. (G.Bl. p. 43); Land- 
gemeindeordnung (neue Redaction)79 27. December 1878 (G.Bl. p. 246); Verfassung der Stadt- 
gemeinde Vegesack v. 18. Sept. 1879 (G. Bl. p. 278); Verfassung der Stadtgemeinde Bremerhaven 
vom 18. Sept. 1879 (G. Bl. p. 298). 
2) Obrigkeitl. Verordn. v. 2. Jan. 1871 (G.Bl. p. 1). 
3) Verf. v. Vegesack und Bremerhaven §§ 6—18. 
 
	        
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