104 [Otto, Das Staatsrecht des Herzogthums Braunschweig. 84.
derselben ausdrücklich Erwähnung thun. — Alle in dieser verfassungsmäßi-
gen Form von dem Landesfürsten verkündigten Gesetze müssen
von allen Landeseinwohnern, Behörden und Gerichten befolgt
werden“. Es bestimmt ferner § 101: „Verordnungecn, d. h. solche Verfügungen,
welche aus dem allgemeinen Verwaltungs= oder Oberaufsichts-Rechte der Regierung her-
vorgehen oder welche die Ausführung und Handhabung bestehender Gesetze betreffen, er-
läßt die Landesregierung ohne Mitwirkung der Landesvertre-
tung“.
Voraussetzungen der Verkündigung sind einmal, daß der Inhalt von Ge-
setzen dem Wortlaut nach zwischen Regierung und Landesvertretung vereinbart, bezw.
von letzterer begutachtet, (s. u. 8 8 IV), dann, daß dem Gesetze oder der Verordnung
vom Landesfürsten die Sanction ertheilt und von demselben die Verkündigung angeordnet
sei. Was die erste Voraussetzung betrifft, so ist hier hervorzuheben, daß ein Erlaß,
welcher unter dem Namen Gesetz ohne Bezeugung der Mitwirkung der Landesvertretung
verkündigt worden, nach § 100 c. der Gesetze kraft entbehren würde. Die zweite Vor-
aussetzung, Sanction und Anordnung der Publikation, ist ein innerer Vorgang, der jedoch
auch seinen äußerlich erkennbaren Ausdruck dadurch erhält, daß die in die Form schrift-
licher Urkunden gekleideten und in wortgetreuem Abdruck der Urkunden zur Verkündigung
gelangenden Gesetze und Verordnungen ver fassung smäßig vollzogen sein
müssen (s. oben § 41 am Ende). Eine Verpflichtung des Landesfürsten, ein Gesetz, dessen
Inhalt mit der Landesvertretung vereinbart worden, zu sanctioniren und zu verkündigen,
besteht nicht ). Auch werden die Sanction und der Verkündigungsbefehl vom Landes-
fürsten, so lange nur nicht die Verkündigung erfolgt ist, zurückgenommen werden können.
Mit der Verkündigung aber wird das Gesetz als solches zu einer Vorschrift,
welche der Landesfürst nicht mehr einseitig zurücknehmen oder ändern kann. Zugleich
wird das Gesetz nach § 100 c., wenn nur die verfassungsmäßige Form gewahrt ist, bindend
für Alle, auch für die Gerichte, ohne daß eine Prüfung in der Richtung zulässig wäre,
ob die bezeugte Mitwirkung der Landesvertretung nach dem materiellen Inhalt des Ge-
setzes den Forderungen der N.L.O. entspreche. Landesregierung und Landesvertretung
haben bei Berathung eines Gesetzes die Frage, welche Mitwirkung der letzteren im ge-
gebenen Falle erforderlich sei, zu entscheiden, eine Meinungsverschiedenheit nöthigenfalls
auf verfassungsmäßigem Wege auszutragen?).
Der die Verordnungen betreffende § 101 der N.L.O. ist in der Praxis dahin aus-
gelegt, daß der Landesfürst im Verordnungswege, ohne Mitwirkung der Landesvertretung,
also auch ohne Bezeugung solcher Mitwirkung, nicht nur Verwaltungs-, sondern auch
Rechtsvorschriften erlassen könne, die letzteren dann, wenn sie zur Ergänzung eines
1) „Ein Beschluß der Landesversammlung erhält nicht eher gesetzliche Gültigkeit, als bis ihm
die Landesfürstliche Zustimmung ertheilt und er als Gesetz publicirt ist. — Ob der Landesfürst
Beschlüssen und Anträgen der Landesversammlung seine Zustimmung ertheilen wolle? hängt von
dessen freier Entschließung ab.“ — — — (N.L.O. 8 145.)
2) Siehe H. A. Zachariä St. R. § 175, wo in Anm. 20 der § 100 der N.L.O. abge-
druckt ist. Es entsteht die Frage: Kommt dem Richter, überhaupt Allen, an welche der Gesetzes-
befehl ergeht, bei Entschließungen in concreten Fällen eine Prüfung der Rechtsbeständigkeit von
Gesetzen in der Richtung zu, 1. ob ein nach der Eingangsformel nur mit Rath und Gutachten der
Landesvertretung zu Stande gekommenes Gesetz der Zustimmung, und 2. ob ein mit ein facher
Majorität genehmigtes Gesetz, weil seinem Inhalte nach eine Verfassungsänderung, der
Zweidrittel-Majorität nach § 141 der N.L.O. bedurft hätte? Zu weiteren ähnlichen Fragen giebt
die Competenzvertheilung zwischen Landesversammlung und Ausschuß derselben Anlaß. Es wird
jene Frage, welche übrigens, so weit zu ermitteln, noch nicht practisch geworden, nach der positiven
Vorschrift des § 100c. zu verneinen sein. Dem entspricht es, daß auch Verfassungsänderungen
mit der einfachen Formel „mit Zustimmung der Landesversammlung“ und nicht etwa unter Be-
zeugung der Zweidrittel-Majorität verkündigt werden.
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