108 Otto, Das Staatsrecht des Herzogthums Braunschweig. 84.
das Schloß Lüneburg mit allem Zubehör gegründetes Herzogthum, zurückempfing. Tritt
der bis jetzt nicht dagewesene Fall einer Succession der weiblichen Linie ein, so soll die
Regierung nach § 14 c. der N.L.O. „nach gleichen Grundsätzen“, d. h. wohl, wie beim
Mannsstamm, nach der Linealerbfolge und dem Rechte der Erstgeburt,
übergehen. Ob damit auch jeder Vorzug des männlichen Geschlechtes bei dem ersten
Erbfalle ausgeschlossen sei, wird in Ermangelung früherer hausgesetzlicher Bestimmungen
von der Interpretation jener Stelle der N.L.O. abhängen. Nach dem ersten Erbfalle
wird in der damit begründeten neuen Linie unter den Descendenten wiederum die Ver-
erbung im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt eintreten #.
V. Vertretung des Landesfürsten. Die Verfassung enthält ausdrückliche Vorschriften
bezüglich der Uebung der Staatsgewalt durch Stellvertreter des Landes-
fürsten in zwei Richtungen.
1) Auf die „Regierungsvormundschaft“ beziehen sich die, eine gleichlautende
Ueberschrift führenden §§ 16—21 der N.L.O.; dieselbe tritt ein, „wenn der Landesfürst"“,
welcher nach § 15 der N.L.O. mit vollendetem 18. Jahre volljährig wird, „wegen Minder-
jährigkeit zur eigenen Ausübung der Regierung nicht fähig ist.“ Die letzten Worte zeigen,
daß es sich hier nicht um die privatrechtliche Vormundschaft, sondern um die Vertretung
des minderjährigen Landesfürsten in der Ausübung der Staatsgewalt, um eine Regent-
schaft, wie auch später in § 18 c. die Stellvertretung genannt wird, handelt. Jene kann
hier außer Betracht bleiben; es ist nur zu bemerken, daß der Erziehung des minder-
jährigen Landesfürsten eine staatsrechtliche Bedeutung insofern beigelegt ist, als deren
Leitung nach § 22 der N.L.O., wenn der „vorhergehende Landesfürst“ nicht anders ver-
fügt hat, dem Vormunde, d. h. hier dem Regenten, unter Beirath des Staatsministeriums,
cv. unter einer auf Rath und Gutachten beschränkten Mitwirkung der Mutter des Minder-
jährigen und nach dieser der Großmutter väterlicherseits, falls diese nicht etwa selbst die
Vormundschaft führen, gebührt. — Was die vormundschaftliche Regentschaft betrifft,
so kann nach § 17 c. der Landesfürst den „Vormund“ für seinen minderjährigen „Nach-
folger“ also nicht nur für einen Descendenten, bestellen. „Er wird diesen aber
aus den regierungsfähigen Agnaten des Hauses wählen, oder falls besondere Gründe
hievon abzugehen, vorhanden sein sollten, seiner Gemahlin oder seiner Mutter die Vor-
mundschaft übertragen, und nur wenn keine dieser Personen vorhanden ist, steht es ihm
zu, einen nicht regierenden volljährigen Prinzen aus den zum Deutschen Bunde gehörenden
Fürstenhäusern zum Regenten zu ernennen“. „Hat der Landesfürst keine Anordnung ge-
troffen, oder, wie man hinzufügen muß, schlägt der Berufene aus, so beruft das Gesetz
(5 18 c.) 1) den nächsten Agnaten, falls dieser ausschlägt, 2) den nachfolgenden, dann
3) (auch, wenn keine Agnaten vorhanden,) die Mutter des Minderjährigen, endlich 4) die
Großmutter väterlicher Seits, die letzten beiden jedoch nur, sofern sie im Wittwenstande
verblieben sind. — Ist keine dieser Personen vorhanden, oder schlagen dieselben die An-
nahme der Regentschaft nach einander aus, so wählt nach § 19 c. „die Landesversamm-
lung, auf den Vorschlag des Herzogl. Staatsministeriums, den Vormund aus den voll-
1) Reiches Quellen= und litterarisches Material über die Successionsfrage siehe bei H. A.
Zachariä, das Successionsrecht im Gesamthause Braunschweig-Lüneburg, Leipzig 1862, die
wichtigsten hausgesetzlichen Bestimmungen auch bei H. Schulze, l. c. — Wegen der Primogenitur
siehe insbesondere Pact. Henrico-Wilhelmianum von 1535, Testament Herzogs Julius von
1582, Revers Herzogs August von 1636, Landschaftliche Privilegien von 1710 Art. 11, von 1770
Art. 9, N.L.O. von 1820 § 79. — Ueber die Frage, ob bei der Succession von Cognaten im ersten
Erbfalle jeder Vorzug des männlichen Geschlechtes wegfalle, siehe H. Schulze, D. St. R. Leip-
zig 1881 § 101 Anm. 1 auf S. 237; ferner H. A. Zachariä St. R. § 73, IV. Anm. 7. Siehe
auch behuf Vergleichunng das Hannoversche Hausgesetz vom 19. November 1836, erlassen, „soweit
es das Gesamthaus angeht“, im Einverständnisse mit dem Herzoge von Braunschweig, und § 12
der Hannoverschen Verfassung von 1840.