8 5. 6. Die Staatsangehörigen. — Gemeindeverfassung. 141
und verwittweten —; der Staat gewährleistet dagegen die Zahlung der durch Gesetz
festgesetzten Wittwenpension. Weder eine Nachzahlung von Beiträgen noch eine Vermin—
derung der Pension wegen Unzulänglichkeit der Kasse ist zulässig; der Staat kommt für
alle Ausfälle auf. Das Recht auf die Wittwen-Pension ist vom Gesetz ausdrücklich als
ein „wohlerworbenes“ bezeichnet.
Der Beamte hat ein Recht auf Versetzung in den Ruhestand, wenn er das
fünfzigste Dienstjahr oder das siebzigste Lebensjahr erreicht hat, und in Krankheits= oder
Schwächefällen. Staatsminister haben dieses Recht immer.
Die Regierung ihrerseits hat das Recht der Pensionirung im Falle der dauernden
Unfähigkeit des Beamten und wenn derselbe das fünfzigste Dienstjahr oder das siebzigste
Lebensjahr zurückgelegt hat.
In den einstweiligen Ruhestand versetzt — zur Disposition gestellt
— werden kann jeder Beamte unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen: wenn das
Amt selbst aufhört, im Fall einer die Wiedergenesung nicht ausschließenden, länger als
ein halbes Jahr währenden Krankheit; endlich wenn Rücksichten auf die Verwaltung des
öffentlichen Dienstes die Enthebung vom Amte „dringend wünschenswerth“ machen und
ein Grund zur Disciplinaruntersuchung nicht vorliegt. Die Stellung zur Disposition ver-
fügt das Staatsministerium — da, wo die Anstellung vom Herzog ausgegangen ist, mit
dessen Genehmigung —. Der zur Disposition gestellte Beamte bezieht sein Gehalt als
Wartgeld ohne irgend einen Abzug weiter und bleibt auch sonst in dem Rechtsverhältniß
eines Staatsdieners, ist namentlich verpflichtet, Geschäfte, welche seinem Range und seiner
Vorbildung entsprechen, für den Staat zu besorgen.
Jeder Beamte hat das Recht, die Entlassung aus seinem Amte ohne Pension zu
verlangen, er muß aber drei Monate vorher kündigen.
Alle diese Bestimmungen sind bezüglich der Richter vielfach modifizirt; es soll davon
weiter unten die Rede sein.
§* 5. Die Staatsangehörigen. Die Erwerbung und der Verlust der Staatsange-
hörigkeit ist durch das Bundes= resp. Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 geregelt. Eine An-
haltische Ausführungsverordnung vom 22. Dezember 1870 bestimmt, daß die Aufnahme-,
Naturalisations= und Entlassungsurkunden von der herzoglichen Regierung (siehe unten)
zu ertheilen sind. Die Staatsangehörigkeit ist wesentliche Voraussetzung für das aktive
und das passive Wahlrecht zum Landtage. Für die Theilnahme an den Kreis= und Ge-
meindewahlen bedarf es nur der Reichsangehörigkeit, wie dies auch beim Geschworenen-
und Schöffenamte nach Maßgabe der bezüglichen reichsgesetzlichen Vorschriften der Fall ist.
— Ein Ständeunterschied mit politischen oder sonstigen rechtlichen Folgen besteht in An-
halt nicht. Die Mitglieder des herzoglichen Hauses genießen in allen ihren Rechtsange-
legenheiten Kostenfreiheit und haben einen eximirten Gerichtsstand bei dem Landgericht
in Dessau.
§ 6. Gemeindeverfassung. I. Allgemeine Grundsätze. In jeder Stadt
und in jedem Dorfe mit dem dazu gehörigen Bezirke besteht eine Gemeinde. Da-
neben sind selbständige Gutsbezirke gebildet: die herzoglichen Schlösser pp., die herzogl.
und landesfiskalischen Forsten, die herzogl. und fiskalischen Domänen, sowie die Rittergüter.
(Der Begriff „Rittergut“ hat, abgesehen von der Gemeinde= und Kreisordnung, im An-
haltischen Rechte keine Bedeutung mehr.) Angehörige eines Gemeinde= oder eines selb-
ständigen Gutsbezirks sind alle Deutsche, welche innerhalb des Gemeinde= oder Gutsbezirks
ihren dauernden Wohnsitz haben.
Die Gemeinden haben das Recht der Persönlichkeit und der selbständigen Verwal-
tung ihrer Angelegenheiten unter Oberaufsicht des Staates; sie haben ferner das Recht
der Besteuerung ihrer Angehörigen, der juristischen Personen und der Erwerbsgesellschaften,