148 Pietscher, Das Staatsrecht des Herzogthums Anhalt. 812
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§ 12. Die Kirche. Die anhaltische evangelische Landeskirche ist unirt und hat
eine Synodal= und Kirchengemeindeverfassung.
Bezüglich des Verhältnisses des Staats zur Kirche gelten nach den bezüglichen Ver-
fassungsgesetzen folgende Grundsätze:
Kirchliche Gesetze und Verordnungen sind nur soweit giltig, als sie mit Staatsge-
setzen nicht in Widerspruch stehen.
Kirchensteuern können die kirchlichen Organe für sich nur nach dem Ergänzungs-
steuerfuße und bis zu einer Einheit beschließen.
Es bedarf ferner eines Staatsgesetzes, wenn ein beschlossenes Kirchengesetz eine
Belastung der Gemeinden zu Gemeindezwecken anordnet oder zur Folge hat.
Das staatliche Aufsichtsrecht wird von dem Konsistorium und dem Staatsmini-
sterium geübt.
Die Staatsaufsichtsbehörden können von der kirchlichen Vermögensverwaltung Ein-
sicht nehmen, Revisionen anordnen, Mißbräuche abstellen; für eine weitere Reihe von Be-
schlüssen der kirchlichen Organe ist ein für allemal die Genehmigung der Staatsaussichts-
behörde vorbehalten.
Die Kirche hat als solche kein Aufsichtsrecht über die Schule, doch ist organisch fest-
gestellt, daß Mitglieder des Konsistoriums Mitglieder der Regierung Abtheilung für das
Schulwesen sein müssen, um die Interessen der Kirche wahrzunehmen. Die Verbindung
von Schul= und Kirchenämtern (Organisten, Kantoren, Küster) ist zulässig.
Alle Vermögensstücke, deren Einkünfte bisher für Zwecke der Volksschule benutzt
wurden, sind durch ein besonderes Gesetz als Eigenthum des Staats erklärt worden. Es
ist dafür eine besondere juristische Person, der „Anhaltische Landes-Schulfonds", gebildet,
der unter der Verwaltung der oberen Staatsschulbehörde steht. Der Kirche ist dafür zu-
gesagt worden, daß überall da, wo mit der Nutzung solcher Vermögensstücke die Wahr-
nehmung kirchlicher Funktionen durch die betreffenden Lehrer organisch verbunden war,
dies unverändert fortbestehen solle.
Bezüglich der nicht zur evangelischen Landeskirche gehörigen Staatsangehörigen ist
die reichsrechtliche Vorschrift in Geltung, daß ihren Staats= und bürgerlichen Rechten und
Verpflichtungen dadurch kein Eintrag geschieht.
Ueber die Bildung von Religionsgesellschaften bestehen in Anhalt besondere Ge-
setze nicht. Thatsächlich stehen sie, namentlich auch die Katholiken und Juden, als Gemeinden
unter staatlicher Oberaufsicht, ohne daß der Inhalt und die Grenzen dieses Aufsichtsrechts
gesetzlich bestimmt wären. Als die Linie Bernburg ausgestorben war und die beiden da-
mals noch bestehenden anhaltischen Herzogthümer zu einem Staat verschmolzen wurden,
wurde durch eine landesherrliche Verordnung vom 1. März 1865 bestimmt, daß die
Junktionen des Bernburger Konsistoriums auf das Konsistorium in Dessau übergehen
sollten, mit Ausnahme des Kultus und der Unterrichtsangelegenheiten der Katholiken und
Israeliten, welche dem Staatsministerium übertragen wurden.