817. Die politischen Gewalten. 41
Gefahr im Verzuge genügt der Konsens des Engeren Ausschusses (s. oben S. 29). Stehen
ständische Rechte nicht zur Frage, sondern handelt es sich um s.g. „gleichgültige“, d. h. für
die ständischen Gerechtsame gleichgültige Gesetze, so soll von den Ständen ein „rath-
sames Erachten und Bedenken"“ eingeholt werden, welches, sofern es rechtzeitig
eingeht, als schätzbares Material dient; bei Gefahr im Verzuge soll wenigstens das Er-
achten der Landräthe und des Engeren Ausschusses eingeholt werden. Diese Normen
geben den Grenzen der landesherrlichen Gesetzgebungsgewalt ihre gemessene Bestimmung ),
und ein ohne Berücksichtigung des ständischen Theilnahmerechtes erlassenes Gesetz ermangelt
der Rechtsbeständigkeit. Allerdings aber ist es nicht ohne Weiteres unverbindlich; denn,
da die ständische Theilnahme an der Gesetzgebung ein reines Internum ist, so genießen die
Akte des Landesherrn unter allen Umständen formelle Gültigkeit bis zu ihrer Aufhebung
durch den Landesherrn selbst, und die Stände sind genöthigt, diese Aufhebung durch Be-
schreitung der Kompromiß-Instanz nach der V. O. vom 28. November 1817 (s. oben S. 14)
herbeizuführen.
Dieses auch in anderer Beziehung wichtige „Manutenenhrechte des Landesherrn (vgl. § 527
L.G.G.E.V.), welches in der V. O. vom 28. November 1817 sub. XII. ausdrücklich anerkannt ist, nöthigt
die Stände unter allen Umständen in die Klägerrolle. Die Kompromiß--Instanz steht nur den
ständischen Korporationen, nicht den einzelnen Mitgliedern offen (Reskr. vom 11. November 1844,
Raabe V. S. 1157); es steht aber dem Korps der Stände zu, wenn in dem Rechte des Einzel-
nen zugleich das Recht der Allgemeinheit gekränkt erscheint, die Sache aufzunehmen und durchzu-
führen. Angelegenheiten, welche auch in diesem Sinne nicht als allgemeine Landesbeschwerden
anzusehen sind, unterliegen im Allgemeinen der ständischen Vertretung nicht; nur wenn die Landes-
herrn entgegen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung und ihrer ausdrücklichen Zusage (Neben-V.O.
zur Revid. Oberappellationsgerichtsordnung vom 20. Juli 1840 § 12) sich weigerten, Unterthanen
aus Privatrechtsverhältnissen vor den Gerichten des Landes zu Recht zu stehen und zu diesem
Zwecke einen Prokurator zu bestellen, konnten die Stände die Vertretung übernehmen, jedoch nur
zum Zwecke der Eröffnung des Rechtsweges (vgl. den Bericht des Eng. Ausschusses vom 31. Okto-
ber 1851, Raabe IV, 777). Nach den in Grundlage des Einführungsgesetzes zur Reichs-Civil-
prozeßordnung § 5 erlassenen Bestimmungen im § 19 der Mecklenburgischen V.O. zur Ausführung
des G.V.G. vom 19. Mai 1879, und § 1—3 der V.O. zur Ausf. der C. P.O. vom 21. Mai 1879, so-
wie nach der V.O. vom 23. Mai 1879 betr. die Vertretung der landesherrlichen Behörden, ist die Be-
stellung eines Prokurators nicht mehr erforderlich, und damit ist das ständische Vertretungsrecht in
dieser Hinsicht gegenstandslos geworden.
Ueber die Kompromiß-Instanz der Stadt Rostock s. oben S. 14 Note 2.
Den Gerichten steht dagegen eine Kognition über die verfassungsmäßige Beobachtung
des ständischen Theilnahmerechtes bei dem Erlasse eines anzuwendenden Gesetzes nicht zu,
und die Erwähnung der ständischen Konkurrenz in der Publikationsformel ist, wenn auch
üblich, doch nirgends vorgeschrieben. Gesetze, welche statt der Unterschrift des Landesherrn
die Unterschrift des Staatsministeriums mit dem Zusatze: Ad mandatum Serenissimi pro-
Drium (S§. Spetiale] tragen, gelten als vom Landesherrn selbst erlassen, da für das Be-
stehen eines bezüglichen landesherrlichen Auftrages an das Staatsministerium eine prae-
sumtio juris spricht, ohne daß es eines weiteren Beweises bedarf?).
Die autonomische Gesetzgebung der Seestädte)) beruht in Wismar
auf einem Privilegium aus dem Jahre 1266 und ist von der Stadt Rostock durch den
Erbvertrag von 1788 § 45 ebenfalls als Gnaden-Verleihung der Landesherrschaft unter-
thänigst anerkannt. Diese autonomische Gesetzgebung besteht neben der landesherrlichen
und schließt letztere demzufolge keineswegs aus, so daß allgemeine Landesgesetze ohne
Weiteres auch in Rostock und Wismar gelten"), ebenso wie umgekehrt autonomische Satz-
Mitglieds (z. B. Stadtverfassungen), für welchen Fall L.G.G. E.V. eine ausdrückliche Bestimmung
nicht trifft, so muß unter analoger Anwendung des Artikels VIII. L.G.G.E.V. dessen Zustimmung
für erforderlich und ausreichend gelten. Landrecht I. S. 366.
1) L.G.G.E.V. § 191.
2) Landrecht I. S. 286.
3) Das. I. S. 362.
20 usbesondere ist die Publikation durch den Rath Erforderniß der Gültigkeit nicht. Das.