Full text: Handbuch des öffentlichen Rechts. Band III.2.1. Das Staatsrecht von: Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt, Waldeck, Schaumburg-Lippe, Lippe. (5)

826. Das Fürstenthum Ratzeburg. 71 
Gegen die erstere Ansicht spricht, abgesehen von der Untrennbarkeit beider Landes- 
theile und der Gemeinsamkeit der Regierung, Gesetzgebung und Verwaltung, insbesondere 
der Umstand, daß Ratzeburg zu keiner Zeit die Eigenschaft eines selbstständigen Bundes- 
staates gehabt hat. Sowohl die Wiener Kongreß-Akte als auch die Verfassung des 
Deutschen Reiches kennen nur ein Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz und thun des 
Fürstenthums Ratzeburg nicht einmal Erwähnung. Die zweite Ansicht aber wird durch 
das Dasein einer städtischen Kommune und ritterschaftlicher, im Besitze obrigkeitlicher Be- 
fugnisse befindlicher Güter widerlegt. 
Die Regierung und Verwaltung des Fürstenthums erfolgt durch die oberen 
Behörden in Neustrelitz: Staatsministerium, Landesregierung, Lehnkammer 
und Finanz-Kommission. Die Lokal-Obrigkeit wird durch die Landvoigtei zu 
Schönberg ausgeübt, welche durch herzogliches Reskript vom 14. Juli 1814 als 
untere obrigkeitliche und administrirende Behörde des Fürstenthums in allen Regimi-= 
nal= und Polizeisachen eingesetzt ist und zur Landesregierung in Neustrelitz ressortirt 7. 
Für die ökonomischen und Kameral-Geschäfte fungirt sie als Domainen-Amt der 
Landvoigtei und steht insoweit zunächst unter dem Kammer= und Forst-Kollegium 
in Neustrelitz. Die kirchlichen Verhältnisse des Fürstenthums sind bereits oben 
berührt; vgl. S. 66 f. Die Verfassung vom 6. November 1869 ordnet eine 
aus 21 Personen bestehende Landesvertretung an, welche jedoch bisher ebensowenig 
wie die Verfassung selbst in aktuelle Wirksamkeit getreten ist. Der Landesvertretung 
sollen verfassungsmäßig angehören: die Eigenthümer der drei Rittergüter, drei von der 
Synode des Fürstenthums aus ihrer Mitte zu wählende Pastoren, drei aus dem 
Magistrate und den angesessenen Bürgern zu wählende Vertreter der Stadt Schönberg, 
neun von den Bauernschaften der fünf Voigteien und drei von den Domanial-Pächtern 
aus ihrer Mitte gewählte Abgeordnete. Den Vorsitz soll der jeweilige Vorstand der 
Landvoigtei führen. Die Zustimmung dieser Landesvertretung soll erforderlich sein zur 
Abänderung der bestehenden und Auferlegung neuer Steuern, soweit nicht die Abänderung 
oder Auflage durch die Reichsgesetzgebung oder ein für das ganze Großherzogthum er- 
lassenes Gesetz erfolgt. 
Von der Mitwirkung beim Erlasse der zur Geltung für das ganze Großherzogthum 
bestimmten Gesetze ist die Landesvertretung vollständig ausgeschlossen ). 
Das Gleiche gilt von den kirchlichen Angelegenheiten des Fürstenthums. Die 
durch die Verfassung festgesetzte Konkurrenz der Landesvertretung bei der speziellen Ge- 
setzgeebung des Fürstenthums beschränkt sich auf die Erstattung eines vor Erlaß des Ge- 
setzes von ihr zu erfordernden Erachtens. Durch einen ständigen, aus drei Mitglie- 
dern bestehenden Ausschuß soll die Vertretung die Verwaltung eines neu errichteten 
Landes-Fonds (s. u.) ausüben, jedoch mit der Maßgabe, daß Bewilligungen aus 
demselben der landesherrlichen Genehmigung bedürfen. Endlich sind der Landesvertretung 
eine Frage, deren Bejahung das Bestehen einer Personal-Union voraussetzen würde. Vgl. Ver- 
handlungen des deutschen Reichstages 1871 II. Session (Nr. 72 B. S. 182 der Anlagen), 1872 
(Nr. 120 S. 537 der Anl. und S. 943 der stenographischen Berichte). 
1) Der Landvoigtei sind durch Bekanntmachung vom 13. Dezember 1879 bis auf Weiteres 
auch die Funktionen des früheren Patrimonialgerichtes über eines der drei Rittergüter übertragen, 
während die beiden anderen Güter an das ritterschaftliche Polizeiamt zu Wittenburg (Meckl.-Schwerin) 
angeschlossen sind. 
2) Die Mecklenburg-Strelitzer Regierung hat im Bundesrathe die Erklärung abgegeben, (s. 
oben S. 70) daß nicht beabsichtigt werde, von dem auf die Gesetzgebung für das ganze Groß- 
herzogthum sich beziehenden Vorbehalte anderen Gebrauch zu machen, als dieses dem anderen 
mit Verfassung versehenen Theile des Landes gegenüber geschehe, daß also, soweit thunlich, vor 
Emanation von Gesetzen, welche das ganze Großherzogthum betreffen, zuvor das rathsame Erachten 
der Vertreter des Fürstenthums erfordert werden würde.
	        
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