8 2. Die Verfassung. 77
und Vertretung des Volkes geführt zu haben. Es hat sich für Oldenburgs Verhältnisse bewährt,
und gute Frucht getragen, wenn hiezu auch weniger seine besondere Vortrefflichkeit, als die Fort-
dauer derjenigen Zustände beigetragen haben mag, welche wie oben bemerkt, bis zum
Jahre 1848 für Oldenburg auch die monarchisch-büreaukratische Regierung zufriedenstellend er-
scheinen ließen.
Dem Großherzog Paul Friedrich August folgte 1853 Febr. 27 sein Sohn Nicolaus
Friedrich Peter in der Regierung, gleich Deutschen Sinnes, mit gleicher Einsicht und
gleichem Wohlwollen für Alle. Die Staatsdiener behielten ihre altherkömmlich gemäßigt
freisinnige Richtung bis in die neueste Zeit; es wurden daher zur Ausführung der Be-
stimmungen des St.G.G. eine Reihe wichtiger Organisationsgesetze erlassen, mit
deren Principien und ihrer Durchführung sich die Landtage im Wesentlichen von vorn
herein einverstanden erklärten.
Dies führte in weiterer Mitwirkung der Umstände, daß dem Lande Adelsmacht und Groß-
kapital fehlten, die Industrie gering blieb, in Städten nur ca. 17 Procent der Bevölkerung
wohnten und mehr als die Hälfte aller Landeseinwohner ihre Nahrung bei Landwirthschaft und
Viehzucht fand, allmählich dahin, daß unter den fast nur aus Staatsdienern und Landleuten
bestehenden Abgeordneten zu den Landtagen die Staatsdiener weniger nöthig schienen, daß diese
in den fast allein zu Dissensen mit der Staatsregierung Anlaß gebenden Geldfragen dem spar-
samen und hier zu Mißtrauen geneigten Landmann nicht zuverlässig genug erschienen und daß
bei den Wahlen mit Erfolg dahin gestrebt wurde, dem Bauernstande eine sichere Mehrheit zu
verschaffen.
Alles dies wurde selbstverständlich, als der wichtigste Theil der Gesetzgebung an
den Norddeutschen Bund, dessen Präsidium 1868 auch das Postregal, soweit es nicht be-
reits an Preußen übergegangen war, abgetreten wurde, dann an das Deutsche Reich über-
ging, und einzelne hervorragende Führer unter den Landleuten es zu lernen versuchten,
die Landtagsberichte ohne Hülfe der schriftgewandten Staatsdiener abzufassen. Die Mi-
nister verschwanden ganz aus den Landtagen, der Staatsdiener in denselben wurden immer
weniger, vereinzelte Vertreter des grundbesitzenden Adels und des Handelstandes fühlten
sich dort unbehaglich, und der Landtag wurde zum Bauernlandtag.
Es leuchtet ein, daß bei solcher Entwickelung die Verfassung des nur 114,63 Qua-
dratmeilen großen Landes mit 337 478 Einwohnern nach der Zählung vom 1. Dezember
1880 — von denen 263 648 auf das Herzogthum Oldenburg, 35145 auf das
Fürstenthum Lübeck und 38685 auf das Fürstenthum Birkenfeld fallen
— und die Bewährung dieser Verfassung keinen Beitrag zu liefern vermögen zur Lösung
von Fragen kulturgeschichtlicher Entwickelung der Menschheit, ja kaum zu dem vollgiltig
nur in größeren Staaten zu liefernden Beweise der Nützlichkeit und Nothwendigkeit einer
parlamentarischen Regierung, die jetzt von dem konstitutionellen Systeme feindlichen Par-
teien wieder in Frage gestellt werden, obgleich keine dieser Parteien über die Negation
hinauskommt und dem parlamentarischen ein anderes haltbares System, eine andere der
heutigen Civilisation in Deutschland entsprechende Form der Regierung, entgegenzustellen
vermag.
Außer dem Resultate, daß bei dem vorhandenen guten Willen der Regierung, verfassungs-
gemäß zu regieren, die Oldenburgische Verfassung selbst unter den gegebenen beschränkten Ver-
hältnissen die Bevölkerung im Allgemeinen befriedigt und selten Besseres verhindert hat, mag
hier noch hervorgehoben werden, daß vieles Gute in einer Ausdehnung zu Stande gekommen ist,
wie solche einer Regierung ohne Mitwirkung einer repräsentativen Versammlung zu gewagt er-
schienen sein möchte, daß insbesondere für Hebung der Landwirthschaft und Viehzucht, für Chausseen
und Eisenbahnen vorzüglich gesorgt ist, sodann, daß durch den Gebrauch der Verfassung die
Einzelnen den Blick auf ein größeres Ganze zu richten gelernt und begriffen haben, daß dessen
Förderung zugleich jeden Einzelnen fördert, endlich, daß vorkommenden Falls — 18854 bei Ab-
tretung einzelner Gebietstheile an Preußen zum Zweck der Anlage eines Kriegshafens mit dem
Wunsche: es möge dieses Werk in kräftiger Entwicktung auch dem Deutschen Vaterlande zum Segen
gereichen; 1866 durch Zustimmung zu dem Bündnißvertrage, welcher die völkerrechtliche Grund-
lage für das Deutsche Reich bildet — der Landtag auch deutsch-patriotische Gesinnung und Ein-
sicht bewährt hat.