l11. Verhältniß des Staats zur Kirche und die Schule. 107
gungsrecht zusteht, welches bei Differenzen zwischen ihm und der Kirchengemeinde durch
die Aufsichtsbehörden (Kirchen-Inspektion, obere Kirchenbehörde) ergänzt werden kann, vor-
behältlich anderweiter Regulirung der Patronatsverhältnisse in den städtischen oder ge-
mischten städtisch-ländlichen Gemeinden durch ein genehmigtes Ortsstatut (Patent v. 8.
Februar 1877).
Das Disciplinarverfahren gegen die Geistlichen steht der oberen Kirchenbehörde, dem
Ministerium für Kultusangelegenheiten zu. Gegen die Entscheidungen desselben sind Vor-
stellungen an den Landesherrn, bei unfreiwilligen Entlassungen (Enturlaubungen) inner-
halb dreiwöchentlicher Nothfrist zulässig. Der Landesherr entscheidet nach Gehör des Ge-
sammtministeriums, im Falle auf Enturlaubung erkannt worden ist, nach Ermessen auch
nach vernommenem Gutachten einer anderweiten Behörde.
Die Organe der oberen Kirchenbehörde für Aufsicht und Förderung des kirchlichen
Wesens, innerlich wie äußerlich, sowie nicht minder zur Kontrole und Mitwirkung in der
Kirchenverwaltung, sind der Generalsuperintendent der Landeskirche und die Ephoren, letz-
tere theils getrennt, theils in Verbindung mit dem Vorstande eines Landrathsamts für
ländliche Gemeinden als Kircheninspektion (Ges. v. 4. Januar 1869). Die Kirchenin-
spektionen für städtische Gemeinden sind durch Ortsstatut zu regeln. (Ges. v. 13. Juni
1876, Organisation der Verwaltung u. s. w. betreffend.)
Den aus 2 Mitgliedern zusammengesetzten Kircheninspektionen tritt bei Meinungs-
verschiedenheiten ein Mitglied der oberen Kirchenbehörde als drittes Mitglied bei.
Zum Zwecke der Aufsicht sind durch Visitationsordnung vom 17. März 1860 be-
stimmte, in gewissen Zeiträumen wiederkehrende Visitationen, General-Visitationen durch
den General-Superintendenten, Spezial-Visitationen durch die Kircheninspektoren, und
Ephoral-Visitationen durch die Ephoren angeordnet.
Die der evangelischen Kirche angehörigen Einwohner der zu einem Kirchenverbande
gehörigen Ortschaften, die bloßen Personalgemeinden ausgenommen, bilden eine Kirchen-
gemeinde. Jede Kirchengemeinde ist berechtigt, ihre Angelegenheiten innerhalb der gesetz-
lichen Grenzen selbst zu ordnen. Sie wird durch einen Vorstand, Kirchenvorstand, ver-
treten, dessen Mitglieder die Geistlichen der Parochie, excl. der Kollaboratoren und Hilfs-
prediger, und beziehentlich der Bürgermeister der Stadt und eine Anzahl weltlicher von
der Kirchengemeinde gewählter Mitglieder derselben sind. Das Amt eines Kirchenvorstands-
mitglieds ist ein unentgeltliches Ehrenamt. Zur Wählbarkeit gehört insbesondere, daß
das Kirchengemeindemitglied sich zur Eintragung in die Wahlliste ordnungsmäßig ange-
meldet hat. (Kirchengem.Ordn. v. 8. Februar 1877.)
Die Thätigkeit des Kirchenvorstandes soll sich an erster Stelle die Kräftigung des
kirchlichen Lebens, insbesondere die Hebung des Gottesdienstes, und die würdige kirchliche
Feier der Sonn= und Festtage zur Aufgabe machen. Ihm liegt sodann die gesammte wirth-
schaftliche Verwaltung, beziehentlich bis auf Genehmigung des Patrons oder der Auf-
sichtsbehörde, insbesondere die Aufbringung der zur Kirchenverwaltung erforderlichen
Mittel, die Sorge für Erhaltung des Kirchenguts 2c., sowie überhaupt die Vertretung
der Kirchengemeinde nach allen Richtungen hin ob. «
Die unfreiwillige Entlassung eines Mitglieds erfolgt durch die Kircheninspektion.
Bei bestimmten Fragen über Aufbringung der kirchlichen Anlagen, Veränderungen
des Modus der Aufbringung u. s. w. ist der Kirchenvorstand an die Zustimmung der po—
litischen Gemeinde gebunden.
Die obere Kirchenbehörde ist berechtigt, den Kirchenvorstand aufzulösen, auch die
Kirchengemeinde selbst zu Beschlußfassungen zusammen zu rufen.
Die Aufbringung der kirchlichen Anlagen ist durch die Gesetze vom 30. Juni 1862
und 28. December 1871, zum Theil unter Zugrundelegung der Landessteuergesetze ge-