Erster Abschnitt.
Einleitung.
§ 1. Geschichtliche Entwickelung und Staatsgebiet. Die reußischen Fürstenthümer sind aus
Reichsvogteien hervorgegangen, welche im Mittelalter in den Gebieten der weißen Elster und der
oberen Saale bestanden. Die dort ansäßigen Ahnen des Fürstlichen Hauses Neuß verwalteten diese
Vogteien, welche sich über den ganzen noch heute „Vogtland“ genannten Landstrich und darüber
hinaus erstreckten, schon im Anfang des 13. Jahrhunderts und erlangten frühzeitig die landesherrliche
Gewalt, später auch die Reichsfürstenwürde. Das Bestehen der gegenwärtig regierenden beiden
Linien des Fürstlichen Gesammthauses, der älteren (Greiz) und der jüngeren (Gera), ist auf eine
im Jahr 1564 stattgehabte Landestheilung zurückzuführen. Beide Linien sind in Beziehung auf
Haus= und Familienangelegenheiten eng miteinander verbunden; gewisse Angelegenheiten werden
gemeinsam geordnet, wobei der jeweilig Aelteste des ganzen Stammes die Leitung hat. Sämmt-
liche Prinzen beider Linien tragen den Namen Heinrich unter Beifügung einer die Reihenfolge
(nach der Zeit der Geburt) bezeichnenden Zahl; jedoch zählt jede Linie selbständig und nach ver-
schiedenem Modus, und zwar die ältere bis 100, um sodann wieder mit 1 zu beginnen.
Die nachfolgende kurze Darstellung befaßt sich lediglich mit denjenigen Theilen des gegenwärtig
in Reuß ä. L. geltenden öffentlichen Rechts, welche landesrechtlich geregelt sind. Im Wesentlichen
beruht der öffentliche Rechtszustand des Fürstenthums, soweit derselbe hiernach zu erörtern ist, auf dem
Verfassungsgesetz vom 28. März 1867, welchem zufolge Reuß ä. L. einen unter einer Repräsenta-
tivverfassung vereinigten, untheilbaren Staat des Norddeutschen Bundes — nunmehr des Deutschen
Reiches — bildet 1). Noch sei vorausgeschickt, daß das Gebiet des Fürstenthums 316,39 qkm mit
50 782 Einwohnern umfaßt, von welchen 50 158 evangelische (fast ausschließlich lutherische), 449
römisch katholische Christen und 60 Israeliten sind.
Zweiter Abschnitt.
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Bie staatlichen Grgane und Functionen.
§* 2. Das Staatsoberhaupt. Staatserbfolge. Kammervermögen.
Der Fürst, dessen Person unverletzlich ist, ist erblicher Landesherr; er übt die Staatsge-
walt, und zwar die gesetzgebende im Verein mit der Landesvertretung aus, besetzt die
Staatsämter und vertritt das Land nach Außen. Er nimmt seinen wesentlichen Aufent-
1) Verfassung v. 28./3. 67 § 1.
Handbuch des Oeffentlichen Rechts. III. 2. U. 12