182 Liebmann, Das Staatsrecht des Fürstenthums Reuß älterer Linie. 87.
G.’ Grundbesitz, die Theilung von G. Gütern und die eine Vermehrung der G. Schulden her-
beiführende Aufnahme von Anleihen. Für gewisse besonders wichtige Angelegenheiten
(z. B. Bestätigung der Ortsstatute) ist die Oberaufficht über alle — auch die ländlichen —
Gemeinden der Landesregierung vorbehalten.
§ 7. Landtag !). Derselbe besteht aus 12 Abgeordneten. Davon werden 3 vom
Landesherrn ernannt, 2 von den Großgrundbesitzern direkt aus ihrer Mitte und 7 von
den übrigen Wahlberechtigten indirekt (durch Wahlmänner) in 3 städtischen und 4 länd-
lichen Wahlbezirken gewählt. Die Ernennung bezw. Wahl erfolgt auf 6 Jahre; alle 3
Jahre scheiden 6 Abgeordnete durch das Loos aus, an deren Stelle ebensoviel neue er-
nannt bezw. gewählt werden. Die Wahl ist geheim. Zur Ausübung des Wahlrechts
wird vorausgesetzt: das Staatsbürgerrecht, Erfüllung des 25. Lebensjahrs, Unbescholten-
heit des Rufs, Besitz eines eigenen Hausstands und Entrichtung einer direkten Steuer.
Wer wahlberechtigt ist, ist auch wählbar, falls er das 30. Lebensjahr zurückgelegt hat.
Gewählte Beamte, Geistliche und Lehrer bedürfen des Urlaubs ihrer vorgesetzten Behörde
und haben die etwa nöthigen Kosten ihrer amtlichen Stellvertretung selbst zu tragen.
Die Landesvertretung wird alle 3 Jahre zu einem ordentlichen Landtag, außerdem
aber, so oft es nöthig, und insbesondere beim Eintritt eines Regierungswechsels spätestens
binnen 3 Monaten, zu einem außerordentlichen Landtag berufen. Der Landesherr kann
den Landtag jederzeit schließen oder vertagen; die Vertagung darf jedoch ohne Zustimmung
des Landtags selbst nicht über 6 Monate dauern. Auch kann der Landesherr den Land-
tag auflösen und Neuwahlen anordnen, welchenfalls die Einberufung der neugewählten
Abgeordneten binnen 4 Monaten erfolgen muß.
Dem Landtag stehen im Allgemeinen folgende Rechte zu:
1) das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung. Abgesehen von dringenden Fällen
(in welchen die Genehmigung des Landtags wenigstens nachträglich einzuholen ist) bedürfen
alle Gesetze seiner vorgängigen Zustimmung. Gesetzentwürfe können nur durch die Re-
gierung eingebracht werden; indessen kann der Landtag neue Gesetze beantragen.
2) das Recht der Mitwirkung bei Ordnung des Staatshaushalts. Der Landtag hat
die Staatsrechnungen für jede abgelaufene und den Voranschlag für jede neue Finanz-
periode (welche einen 3jährigen Zeitraum umfaßt) zu prüfen und darüber Beschluß zu
fassen. Anträge des Landtags auf Verminderung der von der Regierung für den Staats-
bedarf geforderten Summen sind jedoch nur dann zu berücksichtigen, wenn die Gründe
dafür bestimmt und ausführlich angegeben werden mit Nachweisung der Art, auf welche
eine Ersparniß ohne Hintansetzung des Wohls des Landes gemacht werden kann, und
überdies wird die Bewilligung auch unter diesen Voraussetzungen nur dann als abgelehnt
betrachtet, wenn wenigstens / der anwesenden Abgeordneten für die Ablehnung gestimmt
haben. Hält die Regierung die Ablehnung für gänzlich unvereinbar mit dem Interesse
des Landes, so steht dem Landesherrn das Recht zu, die bestehenden zur Deckung des
fraglichen Bedürfnisses nöthigen Auflagen noch ein Jahr nach Ablauf der Bewilligungs-
zeit weiter erheben zu lassen; jedoch ist spätestens 6 Monate vor dem Ende dieses Jahres
ein außerordentlicher Landtag einzuberufen, und, wenn auch von diesem die Bewilligung
abgelehnt wird, die Entscheidung des Bundesraths einzuholen (Art. 76 der R.V.). Ab-
gesehen von diesem einen Fall dürfen direkte und indirekte Landesabgaben ohne vorgängige
Bewilligung des Landtags nicht erhoben und neue Landesschulden regelmäßig ohne seine
vorgängige Zustimmung nicht aufgenommen werden.
3) das Recht der Beschwerde und der Anklage gegen Staatsdiener. Der Landtag
kann sowohl allgemeine Wünsche und Anträge, namentlich wegen Abstellung von Miß-
ständen in der Verwaltung oder Rechtspflege, als auch Beschwerden gegen einzelne Be-
„1) Verf. 8§8 53—86.