Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band III.2.2. Das Staatsrecht der Thüringischen Staaten. (6)

190 Müller, Das Staatsrecht des Fürstenthums Reuß jüngerer Linie. 83. 
Das Fürstliche Haus jüngerer Linie wird zur Zeit vertreten durch die regierende 
Linie und die Paragiats-Linie Reuß-Köstritz. 
Der Mannesstamm der regierenden Linie wird zur Zeit durch den regierenden 
Fürsten, Heinrich XIV. und dessen Sohn Heinrich XXVII. vertreten. Die Paragiatslinie 
ist reich an männlichen Nachkommen. 
II. Die Regierungsgewalt. Die Regierung des Landes ist den Hausge- 
setzen gemäß erblich im Mannesstamme des Fürstlichen Hauses nach dem Rechte der Erst- 
geburt und agnatischen Linealfolge. Während der Minderjährigkeit des Landesherrn oder 
dessen Behinderung an der Regierung wird diese durch dessen Mutter, eventuell durch 
die Agnaten in Gemäßheit der Familiengesetze und Verträge geführt. 
Eine Aenderung der Hausgesetze bezüglich der Erbfolge und der Vertretung des 
Landesherrn ist nur mit Zustimmung der Landesvertretung zulässig. 
Die Regierungshandlungen des Fürsten sind von einem Mitgliede des Ministeriums 
zu contrasigniren. Durch diese Contrasignatur erhalten die Anordnungen und Verfü- 
gungen des Regenten allgemeine Glaubwürdigkeit und Vollziehbarkeit und sind für alle Ge- 
richte und sonstigen Staatsbehörden maßgebend. Der Contrasignirende ist für die Ver- 
fassungs= und Gesetzmäßigkeit des Inhalts persönlich verantwortlich. Diese Verantwort- 
lichkeit kann durch Befehle des Fürsten nicht aufgehoben oder vermindert werden. 
Die Landesvertretung kann die Verantwortlichkeit der Minister durch Beschwerde 
oder durch förmliche Anklage geltend machen. 
Unerlaubte Handlungen, Versehen oder Nachlässigkeiten der unteren Staatsdiener 
können der Volksvertretung zu Ausübung dieses Rechts nur dann Veranlassung geben, 
wenn deshalb bei der zuständigen Behörde und zuletzt beim Ministerium vergebens Klage 
geführt worden ist und Letzteres eben dadurch, daß solches vergeblich gewesen, sich selbst 
einer Pflichtwidrigkeit schuldig gemacht hat. 
Ein besonderes Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit besteht nicht. 
Als Staatsgerichtshof funigirt nach dem Gesetze vom 12. September 1879 der 
Strafsenat des Oberlandesgerichts Jena in erster und das Plenum dieses Gerichts in 
zweiter Instanz. 
§ 3. Die Landesvertretung. Die Landesvertretung steht dem Landtage zu. Derselbe 
besteht nach dem Landtags-Wahlgesetz vom 17. Januar 1871 aus: dem jedesmaligen Be- 
sitzer des Reuß-Köstritzer Paragiums, drei Abgeordneten der Höchstbesteuerten und zwölf 
Abgeordneten der übrigen Wähler. Aktiv wahlberichtigt sind alle Staatsangehörigen vom 
26. Lebensjahre an, welche das Gemeindewahlrecht in einer Gemeinde des Fürstenthumes 
besitzen, mindestens 30 Pfennige Staatssteuern bezahlen und zu den Gemeindelasten bei- 
tragen. Als Höchstbesteuerte wählen diejenigen, welche mindestens 12 Mark terminliche 
Staatssteuern entrichten. Wählbar ist jeder Wähler, welcher seit mindestens einem Jahre 
Staaatsbürger ist. 
Vom activen und passiven Wahlrecht sind ausgeschlossen: Bevormundete, in Kon- 
kurs befindliche Personen, öffentlich Unterstützte, Personen, denen die bürgerlichen Ehren- 
rechte entzogen sind, und Solche, welche mit Staats= oder Gemeindesteuern läuger als 
2 Jahre im Rückstand sind. 
Die Wahl ist direkt und geheim. 
Ueber die Gültigkeit der Wahlen entscheidet der Landtag. Gewählte Beamte be- 
dürfen keines Urlaubs. Die Wahlperiode beträgt 3 Jahre. Die Einberufung des Land- 
tags soll regelmäßig alle drei Jahre im Oktober und außerdem so oft, wie von der 
Staatsregierung nach eigenem Ermessen oder auf Antrag der Volksvertretung für nöthig 
befunden wird, erfolgen. 
Der Landtag regelt seinen Geschäftsgang selbst durch seine Geschäftsordnung. Die
	        
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