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ausschuß, in höherer Instanz vom Staatsministerium ausgeübt. Sie äußert sich in der
Entscheidung von Berufungen in Gemeindeangelegenheiten, der Genehmigung wichtiger
Akte der Vermögensverwaltung, der Ueberwachung der Thätigkeit der Gemeindebehörden,
der Befugniß die Mitglieder derselben mit Ordnungsstrafen zu belegen und sonst disci—
plinarisch gegen dieselben einzuschreiten, dem Recht gesetzlich nothwendige Ausgaben in den
Haushaltsetat der Gemeinde einzusetzen und andere nothwendige Beschlüsse an Stelle der
Gemeindebehörden zu fassen. Das Staatsministerium kann auf Antrag von einem Drittel
der stimmberechtigten Gemeindemitglieder und nach Anhörung des Bezirksausschusses den
Gemeinderath auflösen, und wenn eine geordnete Verwaltung der Gemeinde auf andere
Weise nicht herzustellen ist, eine commissarische Verwaltung anordnen. Die Anstellung
von Bürgermeistern auf Lebenszeit, der Erlaß von Ortsstatuten, die Einführung neuer
indirecter Abgaben und Veränderungen im Gemeindeverbande bedürfen der Genehmigung
des Großherzogs.
Die Gemeindeverfafsung des Großherzogthums beruht auf einer durchaus freisinnigen
Grundlage. Den Gemeinden ist ein hohes Maß von Selbstständigkeit und ein weitgehendes Ge-
biet der Thätigkeit eingeräumt. Die Ausübung der staatlichen Regierungsrechte erfolgt in unterer
Instanz fast durchgehends durch die Gemeindebörden. Die staatliche Aufsicht über die Gemeinden
steht zum großen Theil Organen der Selbstverwaltung zu. Die Ausübung der Aufsichtsbefug-
sehe ist gesetzlich genau geregelt, namentlich bei der Bestätigung der Gemeindebeamten sind dem
Ermessen der Aufsichtsbehörden durch gesetzliche Bestimmungen feste Schranken gezogen. Auch bei
Regelung des Wahl= und Stimmrechtes in Gemeindeangelegenheiten hat sich die Gemeindeordnung
von jeder Engherzigkeit freigehalten. Man darf behaupten, daß sich die weimarischen Gemeinde-
einrichtungen in der Praxis durchaus bewährt haben und daß sich auf ihrer Grundlage ein ge-
sundes kommunales Leben entwickelt hat. Der Umstand allerdings, daß die Verfassung für alle
Gemeinden genau dieselbe ist, hat in so fern einige Uebelstände zur Folge, als manche Einrich-
tungen, welche für kleinere Landgemeinden durchaus geeignet sind, auch auf größere Städte Anwen-
dung finden, für welche sie nicht völlig passend erscheinen.
So wird gegen die Wahl des Gemeindevorstands durch die Gesammtheit der stimmberech-
tigten Gemeindemitglieder in kleineren Orten kein Bedenken bestehen, in größeren Städten würde
dieselbe gewiß zweckmäßiger in die Hände des Gemeinderathes gelegt werden. Eine derartige
kleinere mit den Geschäften vertraute Körperschaft wird darüber, welche Persönlichkeit zu dem
Amt die geeigneteste ist, leichter und sicherer ein Urtheil gewinnen als die gesammte Bürger-
schaft. Die Uebertragung der Wahl auf den Gemeinderath empfiehlt sich auch deshalb, weil es
diesem ausschließlich zusteht, die Anstellungsbedingungen festzusetzen. Bei dem jetzigen System
kann es vorkommen, daß die Bürgerschaft Jemand zum Bürgermeister wählt, dieser aber das
Amt nicht übernimmt, weil der Gemeinderath die von ihm gestellten Bedingungen nicht bewilligt.
Hier liegt eine entschiedene Inkongruenz vor. Außerdem fehlt es in der Gemeindeordnung
durchaus an Bestimmungen über die Pensionirung von Gemeindebeamten, wiederum ein Mangel
für größere Städte, die als Bürgermeister in der Regel solche Personen anstellen, welche die
Qualifikation zum höheren Staatsdienst besitzen und deren Arbeitskraft durch die kommunale
Verwaltungs-Thätigkeit völlig in Anspruch genommen wird.
8§ 7. Der Landtag. Die Rechtsverhältnisse des Landtags bilden den wesentlichsten
Inhalt des revidirten Grundgesetzes vom 15. October 1850.
I. Der Landtag des Großherzogthums nimmtddurchaus diejenige Stellung
ein, welche den Landtagen der deutschen Staaten überhaupt zukommt. Er erscheint als
ein beschränkendes Element, an dessen Mitwirkung der Großherzog bei Ausübung gewisser
Regierungsrechte gebunden ist. Es stehen ihm diejenigen Befugnisse zu, welche den Volks-
vertretungen in den constitutionell-monarchischen Staaten überhaupt, namentlich in den
deutschen constitutionell-monarchischen Staaten eingeräumt sind.
Das wichtigste Recht des Landtages ist das Recht der Theilnahme an
der Gesetzgebung. Landezgesetze, welche entweder die Landesverfassung betreffen
oder die persönliche Freiheit, die Sicherheit und das Eigenthum der Staatsbürger zum
Gegenstande haben, dürfen nur mit Zustimmung des Landtages erlassen oder authentisch
interpretirt werden 1). Bei der Publication dieser Gesetze ist die Zustimmung des Land-
1) Rev. Gr. Ges. § 4 Nr. 6.