22 Meyer, Das Staatsrecht des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach. § 9.
wurden. Sie hatten daher leicht die Neigung im Interesse einer niedrigen Ortsquote
auch eine niedrige Einschätzung der Individualsteuercapitalien vorzunehmen. Die Folge davon
war, daß nicht nur die Einschätzungen in den verschiedenen Gemeinden wesentlich von einander
differirten, sondern daß das geschätzte Einkommen fast im ganzen Lande in einem weit ge-
ringerem Maße als das fatirte zur Steuer herangezogen wurde. In dieser Hinsicht be-
wirkte also das Ortsquotensystem keine gleichmäßige und gerechte Vertheilung der Steuer,
sondern gerade das Gegentheil derselben.
Diese Uebelstände wurden im Großherzogthum schon seit Jahren empfunden und
auch in den Kreisen der Regierung und des Landtages in vollem Maße gewürdigt. Die
bereits länger geplante Steuerreform ist im Laufe des Jahres 1883 zum Abschluß ge-
kommen. Das neue revidirte Gesetz über die allgemeine Ein-
kommensteuer vom 13. Sept. 1883 läßt das Ortsquotensystem völlig
fallen. Dagegen behält es die Unterscheidung vom fatirten und ein zu-
schätzenden Einkommen nach Maßgabe der bisherigen Vorschriften bei. Die Ein-
schätzungen erfolgen aber nun nicht mehr blos zu dem Zweck, die in der Gemeinde auf-
zubringende Ortsquote unter die Steuerpflichtigen zu vertheilen, sondern dienen dazu den
Maßstab zu ermitteln, nach welchem der einzelne Steuerpflichtige zu der Steuer herange-
zogen wird. An die Stelle der Steuervertheiler sind Schätzungscommissionen getreten,
welche ihre Funktionen unter Aufsicht der Rechnungsämter bez. der Gemeindevorstände
ausüben. Diesen Behörden ist in dem Gesetze, wie in vielen anderen deutschen Ein-
kommensteuergesetzen, die Befugniß eingeräumt, von den Steuerpflichtigen Auskunft über
deren Vermögensverhältnisse und von Dienstherrn und Arbeitsgebern Auskunft über die
Dienst-= und Lohnbezüge der von ihnen beschäftigten Personen zu verlangen. Die Aus-
führungsverordnung des Ministeriums vom 13. Oct. 1883 weist nun die Behörden an,
diese Auskünfte von allen Steuerpflichtigen bez, allen Dienstherrn und Arbeitgebern zu
verlangen, eine Bestimmung, welche zwar den ausdrücklichen Vorschriften des Gesetzes
nicht gerade zuwider, welche aber schwerlich dem Sinne desselben entsprechend ist und
auch bereits zu mannigfachen praktischen Bedenken Veranlassung gegeben hat.
Noch einen andern Uebelstand der bisherigen Steuergesetzgebung hat das weimarische
Gesetz vom 13. Sept. 1883 beseitigt. Es hat den Abzug der Schuldzinsen, welcher nach
der bisherigen Gesetzgebung ausgeschlossen war, bei der Berechnung des Einkommens
gestattet. Schuldzinsen, deren Abzug beantragt wird, sind von dem Steuerpflichtigen
schriftlich anzumelden.
Die weimarische Einkommensteuer hat den Charakter einer beweglichen Steuer.
Der Steuerfuß wird für jede Finanzperiode durch das Steuergesetz festgestellt. Dieser
Steuerfuß war früher für alle Einkommen ein gleicher, so daß die Heranziehung
aller Steuerpflichtigen mit demselben Procentsatz erfolgte. Hierin lag aber eine unberechtigte
Ueberlastung der kleineren Einkommen. Auch dieser Uebelstand ist durch die neuere Gesetz-
gebung beseitigt worden. Das Steuergesetz für die Jahre 1884—86 vom 24. Dec. 1883
führt einen progressiven Steuerfuß ein, nach welchem die geringeren Einkommen mit
einem geringeren Prozentsatz als die höheren zur Steuer herangezogen werden. Die
Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehn, welche auf einem Gesetze
vom 12. April 1877 beruht, bietet keine besonderen Eigenthümlichkeiten dar. Die Steuer
beträgt jährlich 48 Mark; die Entrichtung derselben erfolgt durch Lösung eines Gewerbe-
scheines.
8 9. Die kirchlichen Verhältnisse. Das Herzogthum Sachsen -Weimar war ur-
sprünglich ein rein protestantisches Territorium. Erst durch die Erwerbungen des
Jahres 1815 sind zu demselben Gebietstheile mit katholischer Bevölkerung hinzu-
get reten, welche dem früheren Bisthum Fulda angehörten. Außerdem sind in den grö-