158 III. Württemberg als Herzogthum.
Dem 7 tjährigen Administrator gefiel die Arbeit und Verantwortlichkeit
der Regierung nicht in die Länge. Er übergab sie darum Karl Friedrich
von Württemberg-Oels, einem durchaus edlen und wackern Manne,
der, von tüchtigen Räthen unterstützt, das Wohl des Landes suchte. Der im Jahr
1740 ausgebrochene österreichische Erbfolgekrieg war von geringem
Einfluß auf Schwaben und Württemberg. Zur Deckung der Grenze mußte eine
größere Truppenzahl aufgestellt werden, was eine Steuererhöhung zur Folge hatte.
Nachdem Karl Friedrich 6 Jahre lang in gutem Einvernehmen mit den
Landständen und zum Segen des Volks (namentlich durch Bilfingers Thätigkeit)
reglert hatte, wurde unvermuthet der erst sechzehnjährige Erbprinz Karl Eu-
gen vom Kaiser für volljährig erklärt (1744).
Herzog Karl Eugen, von den Württembergern „Karl-Herzog“
genannt, war bis in sein achtes Jahr in Brüssel, wo er geboren war, nach
französischer Art erzogen worden. In Stuttgart wurde er der Leitung des
trefflichen Barons von Segri übergeben, der ihn im Lateinischen, in der
Mathematik, Geographie und Geschichte unterrichkete. Der Prinz besaß einen
lebhaften Geist, eine leichte Fassungsgabe und ein gutes Gedächtniß und machte
deßhalb trotz seiner Flüchtigkeit und des Mangels an anhaltendem Fleiß gute
Fortschritte. Im Jahr 1741 wurde er mit seinen Brüdern nach Berlin an den
Hof Friedrichs II. des Großen geschickt, um sich dort in der Staats= und
Krlegskunst auszubilden. Die katholische Partei, die immer noch ihre Umtriebe
forderten Gutachten allein zukam, auf den rein juristischen, und dabei war er ein in
seinem Rechtsbewußtsein unerschütterlicher, rechtlicher und wahrhaftiger Mann, der sich
durch nichts beeinflussen ließ, weder durch den im damaligen Zeitgeist liegenden Haß der
Christen gegen die Juden überhaupt, noch durch den persönlichen Abschen, welchen auch
er als Patriot, wie das ganze Volk vor den schweren am Lande verübten Sünden des
Süß hatte, noch durch die wildaufgeregte Leideuschaft der Volksmasse, welche drohend
den Tod des „Juden“, und zwar den Tod in schmählichster Form, laut und wie mit
Einer Stimme durchs gatze Land forderte, noch durch die Gunst oder Mißgunst der
zum Siege oder zur Gewalt gelangten Regierungspartei. Der Rechtslehrer beurtheilte
die Sache so: Vor allem und zuerst mußten die verfassungsmäßigen Räthe und Minister,
welche die angeklagten Befehle und Verordnungen kontrasignirt hatten, prozessirt und ge-
straft werden, dann erst Süß; zuerst diejenigen, welche den Verfassungs= und Amtseid
geschworen hatten, nicht aber der unbeeidigte und in keinem Staatsamte stehende Aus-
länder und Jude. Deren Verschulden war nach römischem und deutschem Rechte todes-
würdig, nicht die Verschuldungen des letzteren. — Dennoch blieb es bei dem Todes-
urtheil und der Administrator unterzeichnete es Ende Jannar 1738 mit dem Bemerken:
„Dies ist ein seltenes Ereigniß, daß ein Jude für Christenschelmen die Zeche bezahlt.“
Bei näherer Betrachtung des ganzen Verlaufs der Untersuchung und der Verurtheilung
drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf: Süß wurde zum Tode verurtheilt, weil er —
ein Jude war. Er mußte für alle büßen, welche dieselbe und eine noch schwerere
Strafe verdient hätten. Dies spricht ein Volkslied jener Zeit aus:
„Nur den Süßen
Ließ mans büßen.
Ist er gern bei großen Herrn
Vornehm an dem Tisch gesessen,
Hat mit ihnen Kirschen gessen,
Lassen sie ihm nun den Kern,
Werfen sie dem armen Tropf
Nun die Steine au den Kopf.
An den Steinen kann mans lesen,
Daß die Kirschen groß gewesen.“