Full text: Die Geschichte Württembergs.

176 III. Wũrttemberg als Herzogthum. 
gesagt wurde, „in welchen Schranken der Lehre sie in den zwischen einigen evan- 
gelischen Theologen ohnlängst entstandenen und unter den neuerlichen Titel der 
Pietisterei gezogenen Streitigkeiten erhalten werden sollen“. 
Von da an entwickelte sich die württembergische Kirche ganz selbständig 
nach der durch Spener beförderten christlich-praktischen Richtung. Als Haupt- 
vertreter derselben galten der Hofprediger Dr. Hedinger, Professor Dr. 
Reuchlin in Tübingen, welcher, nachdem ein Edikt vom Jahr 1706 von 
Geistlichen geleitete Erbauungsstunden erlaubt hatte, solche auf Bitten der Stadt- 
gemeinde Tübingen in seinem Hause hielt, und der Hofprediger Hochstet ter. 
Mit diesen Männern war die Generation der unmittelbaren Schüler Speners in 
Württemberg ausgestorben. 
Die Gefahr, welche einige Zeit der evangelischen Kirche Württembergs 
durch das Einreißen der Separatlsterel gedroht hatte, wuchs noch unter der Re- 
gierung Karl Aleranders, der, von einer mächtigen katholischen Partei beeinflußt, 
die katholische Kirche zur herrschenden machen wollte (s. F. 45.); doch gelang dies 
nicht, da der Herzog schnell starb und damit der Einfluß Remchingens und des 
Bischofs von Würzburg ein Ende hatte. Um dieselbe Zeit klopfte Nikolaus 
Ludwig, Graf von Zinzendorf, der Stifter der Herrnhuter 
Brüdergemeinde, an der Pforte der württembergischen Kirche an und bat 
um Aufnahme in den geistlichen Stand (1734). Diese wurde ihm gewährt. 
Als er aber auch noch um die Uebertragung der Prälatur eines Klosters, in 
welchem kein theologisches Seminar sich befand, bat, um dort auf seine Kosten 
Männer für den Dienst der Brüdergemeinde heranzubilden, wurde es ihm vom 
Herzog Karl Alerander abgeschlagen. Zwei ausgezeichnete Württemberger 
Theologen, Steinhofer und Oetinger, schloßen sich an ihn an. Bald aber 
schreckten die separatistische Richtung Zinzendorfs und seine Ertravaganzen viele 
Württemberger wieder ab, und erst als durch Spangenberg, den besonnenen 
und umsichtigen Schüler Zinzendorfs, der Sektencharakter der Brüdergemeinde 
gemäßigt und verdeckt worden war, als man ferner die gesegnete Wirkung der- 
selben während der Zeiten der Frreligiosität in Deutschland genügentk schätzen ge- 
lerne hatte, wurde zwischen den Herrnhutern und der württembergischen Kirche 
ein freundliches Verhältniß wierer hergestellt. Es ist dies ein Verdienst des 
Prälaten Roos. 
Zinzendorfs Einfluß auf Würtremberg wäre wohl ein größerer gewesen, 
wenn nicht in dessen Kirche damals ein Stern erster Größe aufgegangen gewesen 
wäre: — Dr. Johann Albrecht Bengel. Derselbe war zuerst Kloster- 
Präceptor in Denkendorf, später Konststorialrath zu Stuttgart und Prälat des 
Klosters Alpirsbach. Unter den Theologen, welche, als der Halle'sche Pietismus 
immer matter, engherziger, unwissenschaftlicher und gleichgiltiger gegen die reine 
Lehre geworden war, aus den pietistischen Streitigkeiten großen Nutzen gezogen 
hatten, reine Lehre lehrten und frommes Leben übten, nimmt Bengel eine der ersten 
Stellen ein. Tüchtige theologische Wissenschaftlichkeit und innige Herzensfröm- 
migkeit hatten sich in ihm zu einem Lebensstrome verbunden, welcher erfrischend, 
belebend und befruchtend nicht bloß auf Württemberg, sondern auf ganz Deutsch- 
land und weit über dessen Grenzen hinaus einwirkte, und zwar auf Lehrer wie auf 
Gemeinden. Zu seinen bedeutendsten Schriften gehört der „SGnomon über das 
neue Testament“ (1742), die Frucht einer fünfunddreißlgjährigen Arbeit.
	        
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