224 IV. Württemberg als Königreich.
len in aller Stille, Morgens den 29. Junt, in der Kapelle auf dem Rothenberg
neben seiner Gemahlin Katharina beigesetzt.
§. 56.
Der schwäbische Dichterkreis.
„Wohin soll den Fuß ich lenken, ich, ein fremder Wandersmann,
Daß ich eure Dichterschule, gute Schwaben, finden kann? —
Fremder Wanderer, o gerne, will ich solches sagen dir:
Geh'’ durch diese lichten Matten in das dunkle Waldrevier;
—G" ..— — —
Trete dann aus Waldesdunkel, wo im goldnen Sonnenstrahl
Grüßen Berge dich voll Reben, Neckars Blau im tiefen Thal;
Wo ein goldnes Meer von Aehren durch die Eb'nen wogt und wallt,
Drüber in den blauen Lüften Jubelruf der Lerche schallt.
Wo der Winzer, wo der Schnitter singt ein Lied durch Berg und Flur: —
Da ist schwäb'scher Dichter Schule, und ihr Meister beißt * *
. Kerner.
Schwaben, die alte Heimat der Lieder und des Gesanges, erfreute sich in
unsrem Jahrhundert der größten dichterischen Regsamkeit. Mit Unrecht legt
man den schwäbischen Dichtern den Namen der „schwäbischen Dichterschule“ bei,
als deren drei Häupter Ludwig Uhland, Justinus Kerner und Gustav
Schwab angesehen werden.
Die romantische Schule, Ludwig Tieck, Ludwig Achim von
Arnim und Klemens Brentano an der Spitze, bildete alle poetischen For-
men fremder Dichtkunst, mit Ausnahme der französischen, nach. Daneben machte
sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts eine neue Strömung geltend. Man wollte
der Form mehr Innigkeit, volksmäßigere Einfalt und größere Ungebundenheit,
zugleich aber auch einen wärmeren und deutscheren Inhalt geben. Zu diesem
Zweck galt es die Wiedererweckung des Mittelalters und der Anschauungswelse
desselben. Diese neue Richtung der romantischen Schule, voran Uhland,
Kerner und Schwab, hat den Vorzug der Wahrheit der Gesinnung
und der Ein fachheit der Darstellung.
Ludwig Uhland (geb. 1787 zu Tübingen, gestorben 1862 daselbst)
ist nächst Schiller der populärste Dichter Schwabens. Der Grund dazu llegt in
der warmen innigen und treuen Liebe zu seinem Volke. In schweren Kämpfen
zeigte er, daß er für „unser Volk ein Herz“ habe. Fest und treu stand er zu
dem „alten guten Recht“ seines Volkes und sprach als Abgeordneter der Stände-
kammer ohne Furcht seine Ansichten aus. Als ihm im Jahr 1829 eine Pro-
fefsur für deutsche Literatur an der Universität Tübingen übertragen worden war
und ihm zum Neueintritt als Abgeordneter in die Ständekammer der Urlaub von
der Regierung verwelgert wurde, legte er im Mai 1833 sein Amt nieder, um
fortan seinem Vaterland (s. hierüber das Wichtigste in F. 55), der Dichtkunst
und seinen Studien ungestört zu leben. — Ganz Deutschland war sich bewußt,
daß Uhland ein treuer Hüter aller echt deutschen Güter, deutscher Freihelt,
deutscher Sitte, deutscher Art, Kunst, Wissenschaft und Geschichte sei. Seine
Sittenreinheit und sein Seelenadel, die sich in seinen Gedichten abspiegeln,
machen ihn hauptsächlich zum Liebling der Jugend. Wie Schiller das höchste
Ideal der Menschheit überhaupt aufstellte, so zeigt uns Uhland unfre nächste Auf-
gabe im Rahmen des nationalen und bürgerlichen Lebens und schildert uns das
Ideal des deutschen Bürgers. „Mit Kraft und Entschiedenheit war er wie in
seiner politischen Wirksamkeit, so auch in der Dichtkunst dem wirklichen Leben zu-