68 III. Württemberg als Herzogthum.
ihn und sein Land an den Rand des Verderbens führten. Des Fürsten und
Volkes Wohl und Wehe waren selten inniger mit einander verknüpft, als in
diesem halben Jahrhundert, dessen Geschichte uns in der Betrachtung der Regie-
rungszeit Ulrichs entrollt wird. Beide Theile bedurften, um einer neuen Zeit
und ihrer neuen Freihelten und Segnungen würdig zu werden, einer Läuterung.
Das Volk verlor seinen angestammten Herrscher, verheerte sein eigenes Land in
schauerlichem Aufruhr und mußte, um zur Besinnung zu kommen, eine Fremd-
herrschaft erdulden. Der Fürst mußte sein zorniges und heftiges Wesen brechen
lassen durch viel Unglück im ehelichen Leben, durch Verlust des Landes und durch
fünfzehnjähriges Herumirren in fremden Ländern. Von all diesen Leiden blleb
auch die Frucht nicht aus. So sehr dem Volke sein Fürst entleidet war, so sehr
sehnte es sich wieder nach demselben, um so mehr, als sich nach geschehener Sin-
nesänderung desselben wahres Glück für das Land erwarten ließ. Wurde diese
Hoffnung nicht in ihrem ganzen Umfange erfüllt, so kann hierüber nur die ge-
ringere Schuld dem Herzog zugeschrieben werden; vielmehr machten es die po-
litischen und religlösen Wirren in Deutschland unmöglich, eine durchgreifende
Aendernng in alleu Verhältnissen Württembergs vorzunehmen. Und doch haben
wir dieser Pertode zwel wichtige Errungenschaften, eine auf politischem und eine
auf kirchlichem Gebiet, zu verdanken: den Tübinger Vertrag und die Ein-
führung der Reformation. Um beildes in Kraft und Leben treten zu
lassen, bedurfte es allerdings kommender Zeiten und eines andern Mannes als
es Ulrich war. Wenn wir Eberhard im Bart als den grundlegenden Baumeister
in den polltischen und klrchlichen Verhältnissen unseres Vaterlandes im 15. Jahr-
hundert betrachten und die tiefere, innere Durchführung selner Plane und Her-
zenswünsche erst unter Christoph verwirklicht sehen, so müssen wir Ulrichs Regie-
rungszeit in jeder Bezlehung eine Abklärungs= und Durchgangsperiode
nennen. Slie verlief allerdings nicht ohne schwere Wehen und ließ leider unser
Land Württemberg in Abhängigkeit von Oesterreich kommen, worunter Fürst
und Volk noch lange zu lelden hatten.
Ulrich war im Vertrag von Horb, in welchem Eberhard II. auf die Re-
gierung verzichtet hatte, von Kaiser Maximilian mit dem Herzogthum Württem-
berg belehnt und bis zu seiner Volljährigkeit waren die Verwaltungsangelegen-
heiten einem Regierungsrath von 12 Mitgliedern übertragen worden. Ulrich
war der älteste Sohn des unglücklichen Grafen Heinrich und stand erst im 10.
Lebensjahre, als ihm das Herzogthum übertragen wurde. Sein Vetter Eberhard
im Bart hatte zur Erziehung des Prinzen alles gethan, was er für gut hielt. Well
er selbst in seiner Jugend in gelehrter Bildung vernachläßigt worden war, so
sollte Ulrich hierin nichts versäumen. Die auf Erziehung und Unterricht zielenden
Verordnungen waren jedoch zu einseitig 1). Auf die Anlagen 2) des Prinzen
wurde gar keine Rücksicht genommen, ebenso wenig auf seine künftige Bestimmung,
1) „Der junge Herzog soll wohl und ehrlich gehalten werden, vier Stunden täglich
der Lernung obliegen, sonst aber ziemliche unschädliche Kurzweil treiben, mit der Herzogin
fleißig in die Kirche gehen, auch bei ihr und zu Zeiten bei Freunden, Botschaftern und
bei den Räthen speisen, mit und bei ehrbaren Leuten wandeln, und überhaupt, wie sichs
gebührt, in Gottesfurcht gehalten und erzogen werden.“
2) Wie bildsam Ulrich war, kann man aus der Anhänglichkeit schließen, mit der
er seinen Wohlthäter, „den frommen, seligen Eberhard, der nicht als sein Vetter, sondern
als sein Vater an ihm gehandelt habe“, bis zum Tod ehrte.