252 Der Feldzug im Osten vom 6. Nov. bis 17. Dez. 1914
Oas noch schwerer geprüfte Nordheer Österreich-Ungarns, das sich am
San und am Onjestr abermals müde gerungen hatte, war nach der Ansicht
der Russen kaum noch imstande, sich außer Kanonenschußweite von Krakan
im Felde zu behaupten.
Da man vor Iwangorod und Warschau die Taße des Löwen gespürt
bhatte, war man im Lager Nikolai zur lberzeugung gekommen, daß sich die
russische Hauptmacht gegen Hindenburg zu wenden habe. In welchem Maße
der russischen Heeresleitung bei diesem Kalkül die Tatsache zum Bewußtsein
gekommen ist, daß sie unfrei handelte, entzieht sich einer Erörkerung. Was
sie tat, tat sie mit Zuversicht und aus starker Entschlußkraft und adelte dadurch
das auf die Uberlegenheit der Masse gestellte Uncernehmen.
Hindenburgs Vorstoß auf Iwangorod und Warschau hatte die Russen
magnetisch aus Galizien und aus dem Innern des NReiches nach Polen
gezogen und sie gezwungen, ihre Streikkräfte an der Weichsel anzu.
bäufen und in gewaltiger Pressung zusammenzuballen. Als der deutsche
Feldberr dem Gewicht der Masse nachgab und seinen kühnen Vormarsch
abbrach, wurden die Russen von selbst in das polnische Bakuum hinein-
gezogen. Nun füllten sie es mit vier Armeen, die sich mühsam darin zurecht.
schoben, und folgten, von Erfolgen getragen und ihrer Uberlegenheit um
so gewisser, als sie von Nowogeorgiewsk her in südwestlicher Richtung über-
stügelnd und umfassend zu wirken glaubten, dem ergeben zurückflutenden
Gegner.
Aus der doppelseitigen Angriffsbewegung auf den Flügeln des ur.
sprünglichen russischen Kriegsplanes war also eine allgemeine Offensive mit
vorgebautem Zentrum und angehängten Flügeln geworden, eine strategischt
Neugliederung, die Hindenburg dem Sieger vor dem Ausweichen gewisser-
maßen eingeflüstert hatte.
Die russische Heeresleitung war ihres Sieges und einer raschen Beendi-
gung des Feldzuges nie sicherer als in diesen Tagen. Sie schöpfte dies.
Gewißheit aus der vermeintlichen strategischen Aberlegenheit, dem Bewußt.
sein einer zahlenmäßigen Ubermacht und den bereics errungenen Erfolgen,
und war der Dberzeugung, daß sie das Gesetz prägte und die Gegner nicht
mehr imskande seien, die Freiheit des Handelns zurückzugewinnen.
Das war ein furchtbarer Irrtum.
Die Lage der Verbündeten
Hindenburg hatte die im Schlachtengewirr verstrickte Freiheit des
Handelns in dem Augenblick zurückgewonnen, in dem er den Befehl zun
allgemeinen Rückzug ausgab. Als er den Kampf an der Rawbka abbrach
und Dankls Osterreicher von der Opatowka südwärts wichen, war man sich