500 Aus den Betrachtungen zur Kriegslage
Am so mehr Gewicht haben die Vorgänge auf dem linken Flügel ihrer
Nordfront, wo die Frage, was die Deutschen von Kalisch aus über Sieradz und
bei Czenstochau und Nowo-Nadomsk noch ins Feld führen können, auch heute
noch offen bleiben muß. Sie haben zwar russischen Enesatz, der von der Westfront
abberufen, über Nowo Radomsk und DPetrokow zur Unterstüctzung nach Lodz
strebte, aufgehalten, aber wir besigen noch keine Kontrollmeldungen darüber, ob
den Verbündeten hier eine Durchbrechung der russischen Gesamefront und Ab-
spaltung der russischen Nordfront gelungen ist. Das wäre entscheidend,
denn eine Trennung des nördlich fechtenden russischen Defensivflügels von der
westlich und in Galizien operierenden Offensivarmee nähme der Offensive gegen
Krakau jeden Rückhalt. Haben sich nur schwächere deutsche Kräfte zwischen Nowo.
Radomstk und DPetrokow eingeschoben, so werden sie sich auf örtliche Bindung
dortstehender russischer Truppen beschränken müssen.
Nach den neuesten Berichten möchte man troß allem noch auf Fortsetzung
der russischen Offensive im Raume Krakauschließen. Es hängt also immer
mehr davon ab, wie stark dort die Kampfkraft der österreichisch-ungari-
schen Armee ist. Wir hatten schon Bedenken geäußert, als die Osterreicher weit
hinter den Dunajec zurückgingen und schließlich auch die Sziernawa- und Rabalinie
preisgaben, und halten diese Bedenken für gerechtfertigt, nachdem festgestellt ist,
daß deursche Truppen bis Tymbark und auf den ußersten rechten Flügel an die
Karpathen verschoben werden mußten.
16. Dezember 1914. Nr. 594 (Abendblatt).
Mit starken Kräften gehen dagegen die Osterreicher in Galizien vor, und
deshalb ist der Eventualschluß zulässig, daß auch vom serbischen Kriegstheater aus
Werschiebungen in dieser Richtung erfolgtk sind. Nach der Wiener Quelle steht der
österreichische Umfassungsftügel in Westgalizien heute auf der Linie Jaslo—NRaj-
brot. Haben die verbündeten Deutschen und Osterreicher auf dieser Linie genügende
Kräfte vorgeführt, so ist beschleunigter Rückzug der Russen unvermeidlich, wenn
sie nicht am Dunajec, auf den sie von zwei Seiten zurückgedrückt werden, in schwere
Gefahr kommen wollen. Ee ist die organische Gortbildung der in den lezten Tagen
bier vermuteten strategischen Lage. Haben die Russen ihre Offensive in Galizien
aufgeben müssen, so bleibt ihnen auch nördlich der Oberweichsel bei Wolbrom
und Czenstochau nur noch Rückzug übrig. Ob dieser schon eingeleitet ist, läße
sich nicht mit Bestimmtheit nachweisen. Vermögen die ODeutschen im gegebenen
Falle dem Gegner zu folgen und besonders bei Nowo-Radomst den Druck zu
verstärken, so wird es der russischen Heeresleitung ungeheuer schwer werden, die
Staffeln ihres vom Dunajec bis zur Warta aufgebauten Westflügels zurückzu-
nehmen, ohne diese einzeln schwer zu gefährden und die Flanke und die rückwärtigen
Verbindungen der noch nordsstlich von Petrokow und im Raume Lodz fechtenden
Nordarmee zu entblößen. Daß die Russen von der Bzura bis zur Dilica, also
bei Lowicz und südlich Lodz, alles einsetzen müssen, um sich des Angreifers von
Norden zu erwehren und den Abzug der Westarmee zu sichern, liegt immer offener
zukage. Die Vorgänge im Raume Mlawa nördlich der Weichsel werden nun
auch von deutscher Seite als Ablenkung bezeichnet, die zu ihrer Basis Mlawa
zurückgekebrt ist.