Full text: Friedrich der Vorläufige, die Zietz und die Anderen.

Die Welt? Wirklich die Welt? Doch nur jene Kreise um 
Scheidemann und Ebert, Schücking und Quidde. Die Welt 
da draußen um Wilson und Clemenceau hat nie in Wolken- 
kuckucksheim gelebt. Und daheim bei uns gab es auch genug 
Männer, die der verhängnisvollen Zllusion der Scheidemann- 
Erzberger-Mehrheit nicht zum Opfer gefallen waren. Aber 
es ist eine alte Wahrheit: si delirant reges, plectuntur Achivi; 
was die regierende Mehrheit in ihrer Träumerei versiebt hat, 
das müssen wir alle nun büßen. 
Wenn damit wenigstens die Frrlichterei aufhörte, wenn 
wir wenigstens im Elend zu politischen Charakteren würden! 
„Charakter haben und deutsch sein, ist ohne Zweifel gleich- 
bedeutend“, sagt Fichte. Unter seinem Bilde steht Scheidemann 
und verschwört seine Seele. Und erbleicht nicht. 
Man hat eine „machtvolle Kundgebung“ veranstalten 
wollen. Kundgebungen sind nie machtvoll, können nur, 
wenn sie geschickt inszeniert sind, den Eindruck bringen, daß 
eine Macht hinter ihnen steht. Die heutige Kundgebung 
wird fünf Stunden lang plattgewalzt. Statt einer einzigen 
binreißenden Rede hören wir anderthalb ODutzend Jere- 
miaden, die überdies großenteils wie Auszüge aus längst 
gelesenen Leitartikeln klingen, und man wäre zuletzt in der 
Stickluft der auf solche Massenbesetzung und solche Dauer- 
sitzung nicht eingerichteten Aula matt bis an den Tod, hoff- 
nungsloser als zuvor, — wenn nicht der leidenschaftliche, 
orkanartige Beifall auf den Tribünen bei jedem vater- 
ländischen Kraftwort irgendeines Redners es einem er- 
schütternd zum Bewußtsein brächte: wir haben noch ein 
Geschlecht wie das des akademischen Jungvolks von 
1815, nur an Führern sind wir bitterlich arm geworden; es 
ist heute kein Fichte mehr da — „so groß, tief und stolz hat 
fast noch niemand von der deutschen Nation gesprochen“, 
schrieb Gentz über ihn —, kein Schleiermacher und kein Frei- 
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