Die Presse ist also nahezu lahmgelegt. Auch die Abgeord-
neten, die Herren „N. d. A.“, seufzen unter allerlei Un-
annehmlichkeiten bei den beengten Berhältnissen im Wei-
marer Musenstall. Es fehlt ihnen vor allen Dingen die
Berliner Reichstagsbücherei. Uberdies haben sie nicht ein-
mal Schreibgelegenheit auf ihren Plätzen, es sei denn, daß
sie die Knie als Unterlage benutzen. Sie müssen schon in
das „eigens“ eingerichtete Schreibzimmer gehen, den bis-
herigen — Ankleideraum der Chordamen. Alles Ouftige ist
daraus freilich verschwunden. Aber man kann dort seine
Hände in Unschuld waschen: vier Riesenbecken an der Wand
spenden warmes und kaltes Wasser. ·
Es ist alles behelfsmäßig, alles unzulänglich, aber trotzdem
sind diejenigen Paxlamentarier, denen es auf ernsthafte Ar-
beit ankommt, mit Weimar gar nicht unzufrieden. Das System
der Kasernierung der Abgeordneten bewährt sich näm-
lich trefflich zur Förderung der Arbeit. Die Deutsche Volks-
partei ist im Hotel Mende, die Deutschnationale im Hotel
Erbprinz untergebracht, in anderen Gasthöfen und im Bolks-
hause wohnen und tagen die übrigen Fraktionen, und die
Führer haben ihre Leute vom ersten Frühstück bis zum Nacht-
mahl in der Hand. Oie Sitzungen sind vollzählig besucht.
Und die Neuen werden schnell bekannt und lernen die Er-
probten schnell kennen. Ablenkung gibt es wenig. „Zu Ehren
der Nationalversammlung“ sind natürlich einige Kabarette
eröffnet worden, und eine gute, alte Weinstube hat es riskiert,
sich 10 000 Austern kommen zu lassen, aber so leicht entfernt
sich niemand aus seinem behaglichen Gasthof in die Winter-
kälte, um irgendwo „Betrieb“ zu machen. ODas kommt also
der Arbeit zugute. In Berlin pflegte doch gut die Hälfte
aller „M. d. R.“ in der Großstadt unterzutauchen und den
Fraktionssitzungen fernzubleiben.
Ebenso kann die Arbeit im Plenum bier schneller vor sich
23