Verfassung und Beamtenstand
Weimar, 1. August
Am 11. April 1847 sagte Friedrich Wilhelm IV. im seiner
Thronrede vor dem vereinigten preußischen Landtag, man
solle nur ja nicht glauben, daß die Einberufung des Land-
tages den Anfang einer Verfassung bedeute. „Kein Stück
Papier soll sich zwischen den Herrgott im Himmel und dieses
Land drängen wie eine zweite Vorsehung!“
Das wirkte wie ein Fanal. Nichts ist so aufreizend ge-
wesen, nichts hat die Massen so zum politischen Kampf ge-
triebeen. Bis in unsere Tage hinein hat die Demokratie die
Worte des damaligen preußischen Königs als Lästerung dar-
gestellt. Die Verfassung ist Volkswille. Die Verfassung ist
die magna charta für Freiheit und Recht. Wer sie, die leben-
spendende, zu einem Fetzen Papier macht, der zerschlägt das
Palladium des mündigen Volkes. Das ist seit jeher der Ge-
dankengang der Linken gewesen.
Und nun hat gestern Loebe--Breslau, der Vorsitzende der
sozialdemokratischen Partei, mit genau der gleichen absolu-
tistischen Verachtung erklärt, die „papiernen“ Bestimmungen
der Verfassung müßten im Laufe der Entwicklung zerrissen
werden.
Damit hat die Partei den festen Boden, den wir nach
Bauers Wort angeblich nun unter den Füßen haben, unter-
miniert und jedes Bersprechen in der Verfassung, an das eine
gläubige Menge sich halten soll, wertlos gemacht. Nach wie
vor steht alles im Belieben der Partei, wie vor siebzig Jahren
im Belieben des Königs. Heute ist die Verfassung ein enges
Gedränge von Grundsätzen des Zentrums und der Sozialdemo--
kratie. Morgen können vielleicht die Unabhängigen mitbe-
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