84 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. III. Kapitel. § 28.
Kammern eingeräumte Recht nur auf Dinge beschränkt, mit denen eine Kammer gerade befaßt
ist, nicht aber auf jeden beliebigen Gegenstand #).
§ 28. Die besondere Rechtsstellung der Landtagsmitglieder 2). I. Die Mitglieder
der preußischen Volksvertretung stehen im Allgemeinen in bürgerlich-rechtlicher, strafrechtlicher
und öffentlich-rechtlicher Beziehung unter den Vorschriften des gemeinen Rechts. Um den
Kammern eine ungehinderte und freie Ausübung der ihnen eingeräumten Befugnisse zu ermög-
lichen, ist jedoch den Mitgliedern der beiden Häuser des Landtags in gewissen Richtungen eine
rechtliche geschützte Sonderstellung eingeräumt: 1. Nach Art. 84 Abs. 1 V. U. können die Mit-
glieder beider Kammern für ihre Abstimmungen in der Kammer niemals, für ihre darin ausge-
sprochenen Meinungen nur innerhalb der Kammer auf Grund der Geschäftsordnung zur Rechen-
schaft gezogen werden. An Stelle dieses ehedem in der Auslegung bestrittenen Artikels der
Verfassungsurkunde gilt jetzt § 11 R. Str.G.B., wonach kein Mitglied eines Landtags außer-
halb der Versammlung, zu welcher es gehört „wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Aus-
übung seines Berufs gethanen Aeußerung“ zur Verantwortung gezogen werden kann. Im
Zusammenhang damit steht § 12 R. Str. G. B. der bestimmt, daß wahrheitsgetreue Berichte
über Verhandlungen eines Landtags oder einer Kammer eines zum Reiche gehörigen Staats
von jeder Verantwortlichkeit frei bleiben. 2. Nach Art. 84 Abs. 2, 3 und 4 V. U. kann kein
Mitglied einer Kammer ohne deren Genehmigung während der Sitzungsperiode ((ist der Land-
tag bloß vertagt, dauert die Sitzungsperiode fort) wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung
zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung der That oder
im Laufe des nächstfolgenden Tages nach derselben ergriffen wird. Gleiche Genehmigung ist
bei einer Verhaftung wegen Schulden nothwendig. Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied
der Kammer und eine jede Untersuchungs= oder Civilhaft wird für die Dauer der Sitzungs-
periode aufgehoben wenn die betreffende Kammer es verlangt. Dagegen fallen nicht unter diese
Bestimmungen die Strafhaft, die administrativen Zwangsmaßregeln und die Verhaftung wegen
Zeugnißverweigerung, da die Mitglieder des Landtags ein Recht der Zeugnißverweigerung
nicht haben. Es besteht nur die Vorschrift (§§ 49, 72 R. Str. Pr. O., §§ 347, 367 R.C. Pr.O.)
daß eine Vernehmung von Landtagsmitgliedern als Zeugen oder Sachverständige außerhalb
des Sitzes der Versammlung während der Sitzungsperiode nur mit Zustimmung der betr. Ver-
sammlungerfolgen kann. 3. Nach § 35 G.V.G. könnendie Mitglieder einer deutschen gesetzgebenden
Versammlung die Berufung zum Amte eines Schöffen ablehnen. Dasselbe gilt gemäß § 85
Abs. 2 G.V.G. in Bezug auf das Amt eines Geschworenen. 4. Die Mitglieder des Landtags
genießen nach Maßgabe der §§ 106 u. 339 R. Str. G. B. des strafrichterlichen Schutzes gegen
Gewalt und Bedrohung in Ausübung ihres Berufes. 5. Die Mitglieder der zweiten Kammer
erhalten aus der Staaskasse Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht
hierauf ist unstatthaft (Art. 85 V.U.) Die den Abgeordneten zu gewährenden Reisekosten und
Diüäten sind gegenwärtig geregelt durch die GG. v. 30/3. 1873 u. 24/. 1876.
II. Das Recht der Mitgliedschaft der Volksvertretung umfaßt die Befugniß an den
Berathungen und Beschlußfassungen der betreff. Kammer nach Maßgabe der Gesetzgebung und
der Geschäftsordnung Theil zu nehmen. Das Recht ist ein höchst persönliches; Stellvertretung
ist unstatthaft. Ebenso ist kein Abgeordneter an etwaige Aufträge oder Instruktionen seiner
Wähler in der Abstimmung gebunden (Art. 83 V. U.).
Das Recht der Theilnahme der Mitglieder der Volksvertretung ist andererseits auch eine
politische Pflicht, deren Erfüllung jedoch nicht erzwungen werden kann.
1) Rönne a. a. O. S. 290 ff. — Bornhak a. a. O. S. 430f. — Arndt, die Verf Urk.
f. d. preuß. Staat S. 100.
2) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I, S. 299 ff. — Schulze, das
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I, S. 594 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, I, S. 395 ff.