8 29. Berufung, Vertagung, Schließung, Auflösung der Kammer. 85
§ 29. Berufung, Vertagung, Schließung, Auflösung der Kammern 7. I. Die Be-
rufung der Kammern ist das ausschließliche Recht des Königs, bezw. im Falle einer Regent-
schaft des die Staatsgewalt ausübenden Regenten. Nur im Falle der Nothwendigkeit der Be-
stellung einer Regentschaft hat gemäß Art. 56, bezw. 57 V. U. der nächste volljährige Agnat,
bezw. das Staatsministerium die Kammern zu berufen. Ein Selbstversammlungsrecht steht
dagegen den Kammern in keinem Falle zu.
Die Berufung erfolgt durch königl. Verordnung unter ministerieller Gegenzeichnung und
zwar hat sie regelmäßig in dem Zeitraum vom Anfange des Monats November jeden Jahres
bis zur Mitte des folgenden Januars und außerdem so oft es die Umstände erheischen zu er-
folgen (Art. 76 V. U.). Dafür, daß der gesetzlich vorgeschriebene Berufungstermin eingehalten
werde, sind die Minister verantwortlich. In Bezug auf den Ort der Einberufung ist die Krone
nicht beschränkt.
Die beiden Kammern müssen stets gleichzeitig berufen, eröffnet, vertagt und geschlossen
werden (Art. 77 Abs. 2 V. U.), da die beiden Kammern zusammen eine Einheit bilden.
II. Die Eröffnung des Landtags erfolgt an dem in der Einberufungs-Verordnung be-
stimmten Tage entweder durch den König in Person oder durch einen dazu beauftragten Mi-
nister in einer Sitzung der vereinigten Kammern (Art. 77 Abs. 1 V. U.). Nach der Eröffnung
des Landtags erfolgt die Konstituirung der Kammern, d. h. jede Kammer nimmt diejenigen
Handlungen vor, welche erforderlich sind, sie als Kollegium berathungs= und beschlußfähig zu
machen2). Die Art und Weise der Konstituirung jeder Kammer ist durch deren Geschäftsord-
nung geregelt. Nach der Geschäftsordnung des Herrenhaufes tritt dasselbe unter dem Prä-
sidium der vorangegangenen Sitzung, eventuell des Alterspräsidenten zusammen. Ist die zur
Beschlußfähigkeit erforderliche Anzahl von 60 Mitgliedern (G. v. 30/5. 1855 8 2) anwesend,
so werden ein Präsident zwei Vicepräsidenten und acht Schriftführer gewählt; damit ist das
1) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I. Bd., S. 267 ff. — Schulze,
das preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., I. Bd., S. 617 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, I, S. 404 ff.
2) Zu diesen Handlungen gehört namentlich auch die Prüfung der Legitimation der Mit-
glieder jeder Kammer. Im Herrenhause erfolgt nach Maßgabe des § 67 der Geschäftsordnung die
Legitimation der neu eingetretenen oder vom Könige neu berufenen Mitglieder durch die Matrikel-
kommission, die aus dem Präsidenten des Hauses als Vorsitzenden, aus den beiden Vicepräsidenten
und vier auf drei Jahre in einer Plenarsitzung mit absoluter Mehrheit zu wählenden Mitgliedern besteht.
Ueber das Ergebniß der Prüfung hat die Matrikelkommission dem Hause Bericht zu erstatten und ihm
auch in jeder Session eine Uebersicht über den Bestand des Hauses und die darin vorgekommenen
Personalveränderungen vorzulegen. Jedes Mitglied des Hauses ist berechtigt, seine Zweifel über die
Legitimation eines Mitglieds oder über die Fortdauer der Erfordernisse zur Ausübung des Rechts der
Mitgliedschaft dieser Kommission schriftlich mitzutheilen, welche demnächst zu berichten und die Ent-
scheidung des Hauses herbeizuführen hat. Die vom Hause als legitimirt anerkannten Mitglieder werden
in eine Matrikel eingetragen, die als ausgeschieden erklärten in derselben gelöscht. — Im Abgeord-
netenhause erfolgt nach Maßgabe der §§ 3—6 Gesch.O. nach vorgängiger Bildung der sieben Ab-
theilungen zunächst die Vorprüfung der Wahlen in den Abtheilungen, zu welchem Behufe jeder Ab-
theilung eine möglichst gleiche Anzahl von Wahlverhandlungen durch das Loos zugetheilt wird. Wahl-
anfechtungen und von Seiten eines Mitglieds des Hauses erhobene Einsprachen, die später als 14 Tage
nach Eröffnung des Hauses und bei während der Session erfolgenden Nachwahlen, später als 14 Tage
nach Feststellung des Wahlergebnisses erfolgen, bleiben unberücksichtigt. Von der Abtheilung sind die
Wahlverhandlungen in gewissen in § 5 a. a. O. aufgeführten Fällen an eine besondere in jeder Session
für die Dauer derselben Wahlprüfungskommission abzugeben. Unter gewissen Voraussetzungen (8 ba
a. a. O.) hat die Abtheilung an das Haus Bericht zu erstatten. Wahlen, gegen welche keine Bedenken
bestehen, gelten als gültig; im Uebrigen steht die Entscheidung jeder Wahl dem Hause zu. Bis zur
Ungültigkeitserklärung einer Wahl hat der Gewählte Sitz und Stimme im Hause. Die Weigerung der
Ableistung des Eides auf die Verfassung schließt jedoch die Befugniß aus, einen Sitz im Hause ein-
zunehmen. Mitglieder, deren Wahl beanstandet ist, dürfen in Beziehung auf ihre Wahl alle ihnen
nöthig scheinenden Aufklärungen geben, nicht aber an der Abstimmung Theil nehmen.