Full text: Handbuch des Öffentlichen Rechts. Band II.3. Das Staatsrecht des Königreichs Preußen. (23)

86 Zweites Buch: Staat und Staatsverfassung. III. Kapitel. 8 30. 
Haus konstituirt. Die Konstituirung und das Ergebniß der Wahlen werden vom Präsidenten 
dem Könige und dem Hause der Abgeordneten angezeigt. 
Das Haus der Abgeordneten tritt beim Beginne einer neuen Legislatur-Periode 
unter dem Vorsitze des Alterspräsidenten zusammen, für jede fernere Session derselben Legis— 
laturperiode, setzen die Präsidenten der vorangegangenen Session ihre Funktionen bis zur 
vollendeten Wahl des Präsidenten fort. Zunächst erfolgt dann die Prüfung der Wahlen (Art. 
78 V. U.) und wenn die Wahlen der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl der Mitglieder als gültig 
anerkannt sind, wählt das Haus den Präsidenten, hierauf den ersten und dann den zweiten 
Vicepräsidenten und acht Schriftführer. Von der erfolgten Konstituirung des Hauses, sowie 
dem Ergebniß der Wahlen macht der Präsident dem König und dem Herrenhause Anzeige. 
III. Nach Eröffnung des Landtags dauern die Sitzungen derselben so lange fort, bis 
der König die Vertagung und Schließung anordnet. Die Kammern selbst sind nicht berechtigt, 
eigenmächtig ihre Thätigkeit zu unterbrechen oder zu beendigen. 
Die Vertagung, welche ohne Zustimmung der Kammern die Frist von 30 Tagen nicht 
übersteigen und während derselben Session nicht wiederholt werden darf (Art. 52 V. U.), hat 
lediglich die Bedeutung einer Unterbrechung der Thätigkeit der Kammern, die konstituirt bleiben 
und die unterbrochenen Arbeiten nach der Vertagung da wieder aufnehmen, wo sie abgebrochen 
wurden. 
Die Schließung erfolgt ebenfalls durch den König in Person oder durch einen dazu 
von ihm beauftragten Minister in einer Sitzung der vereinigten Kammern. Durch die Schließ— 
ung des Landtags verlieren die beiden Kammern ihre Eigenschaft als konstituirte Kollegien. 
Damit sie wieder in Thätigkeit treten können, muß eine neue Eröffnung und Konstituirung 
erfolgen. Die im Augenblicke der Schließung noch nicht erledigten Regierungsvorlagen bezw. 
Angelegenheiten müssen neu eingebracht bezw. in Angriff genommen werden. Dies gilt auch 
vom Herrenhause, da sich die Schließung auf beide Häusern erstreckt und nach der Schließung 
auch eine neue Konstituirung des Herrenhauses erfolgen muß. 
Das Abgeordnetenhaus kann der König auflösen. Die Auflösung des Abgeordneten— 
hauses hat die Vertagung!) des Herrenhauses zur Folge (Art. 77 Abs. 3 V. U.). Die Auf— 
lösung des Abgeordnetenhauses hat für dasselbe die gleiche Wirkung wie die Schließung des 
Landtags, außerdem entzieht sie aber allen Mitgliedern des Abgeordnetenhauses ihre Eigen— 
schaft als Abgeordnete. Wiederwahl ist jedoch in diesem Falle ebenso zulässig, wie im Falle 
des Ablaufs der Legislaturperiode. Ist die Auflösung des Abgeordnetenhauses erfolgt, so 
müssen nach Art. 51 V. U. innerhalb eines Zeitraums von sechzig Tagen nach der Auflösung 
die Wähler und innerhalb eines Zeitraums von neunzig Tagen nach der Auflösung die Kammern 
versammelt werden. 
Die Auflösung des Abgeordnetenhauses kann auch erfolgen, wenn der Landtag nicht ver- 
sammelt ist; ebenso ist es zulässig das Abgeordnetenhaus aufzulösen, wenn es noch gar nicht 
versammelt war. 
§ 30. Organisation, Geschäftsgang und Disciplin des Landtags?). I. Die 
Organisation der Kammern. Nach Art. 78 V. U. hat jedes Haus das Recht, seinen Präsi- 
denten, seine Vicepräsidenten und seine Schriftführer nach Maßgabe seiner Geschäftsordnung 
zu wählen. 
  
1) Der Ausdruck „vertagt“ in Art. 77 Abs. 3 ist im Sinne von „schließen“ zu nehmen; denn 
da die Auflösung des Abgeordnetenhauses jedenfalls die Schließung der Verhandlungen zur Folge hat, 
eine einzelne Kammer aber wegen der Einheit der Volksvertretung nicht für sich konstituirt sein kann, 
so muß die Auflösung des Abgeordnetenhauses die Schließung des Herrenhauses nach sich ziehen. 
Schulze a. a. O. S. 630 Note 1. 
2) Rönne, das Staatsrecht der preuß. Monarchie, 4. Aufl., I. Bd. 320 ff. — Schulze, das 
preuß. Staatsrecht, 2. Aufl., 1. Bd., S. 619 ff. — Bornhak, Preuß. Staatsrecht, 1, S. 411 ff.
	        
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